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Copyright: Dieter H. Steinmetz

 

4. Abschnitt: Um 1540 bis 1680 (Kämpfe und Tragödien zu Beginn der Neuzeit)

 

Die Epoche von der Mitte des 16. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts in Calbe war hauptsächlich von zwei Prozessen geprägt, dem Ringen zwischen den neuen reformatorischen und den gegenreformatorischen Kräften sowie dem Bestreben der Fürsten nach Konsolidierung des absolutistischen Staats- und Wirtschaftssystems. Insbesondere war es die Zeit gehäuft auftretender Pestepidemien, des großen europäischen Machtpokers auf Kosten der Völker, des Dreißigjährigen Krieges, und eines verstärkt auftretenden Massenwahns, der Hexenhysterie.

Während es für die Auswirkungen der großen Pestpandemie von 1347 bis 1352, die Europa von Nordafrika bis Island überrollte und als „Schwarzer Tod“ ein Drittel (25 Mill.) der Einwohnerzahl Europas an Todesopfern forderte, in Calbe keine Belege gibt, wissen wir, wie die Seuche seit dem 16. Jahrhundert in Calbe wütete.

Die aus Asien mit dem Rattenfloh eingeschleppte Pest suchte Europa in unterschiedlich stark ausgeprägten Wellen bis zum 18. Jahrhundert heim. Auf anderen Kontinenten, auch in den USA,  gab es noch Pestpandemien bis 1900. Im 20. Jahrhundert wurde die Pest weltweit immer mehr eingedämmt, sie ist aber bis heute nicht gänzlich ausgerottet.

Wie sich aus den frühneuzeitlichen Aktennotizen rekonstruieren lässt, dauerten mehrere der Pestwellen in Calbe im 16. und 17. Jahrhundert ca. 2 - 6 Jahre. Die Intervalle zwischen den einzelnen Wellen waren erschreckend kurz, zwischen 8 und 19 Jahren. Im Durchschnitt kam es alle 11 Jahre zum großen Sterben, bei dem jedes Mal 10 bis 25 Prozent der Einwohner Calbes dahingerafft wurden.

Anno 1551 seien durch eine große Pestwelle "allein in einem Sommer 130 Personen gestorben, daß man auf dem Kirch-Hofe bei der Stadt-Kirchen nicht Raum gehabt, dieselben, ohne andere wieder aufzugraben, zu beerdigen“, schrieb der Chronist Hävecker. Deshalb hatte sich der Rat der Stadt entschlossen, in der Bernburger Vorstadt direkt neben dem Friedhof an der St.-Laurentii-Kirche einen neuen Gottesacker für die Stadt anzulegen. 1566 hatte "sich abermal eine Contagion [Pestwelle] eingeschlichen, dadurch fast die ganze Stadt leer geworden."  

1585 verbot der Rat die Neujahrsfeiern "wegen der gefährlichen Sterbensläufte". Vor allem das sonst übliche Schenken und Nehmen kleiner Gaben sei zu gefährlich. 1595 trat erneut die Pest in Calbe auf, "davon auch sehr viele Menschen nicht nur in der Stadt Calbe, sondern auch in dem nächsten Dorf Brumby gestorben… Anno 1607 ließ die Pest abermal ihre Macht durch Gottes Verhängnis allhier sehen, dadurch eine große Anzahl der Menschen hingerafft wurde." Sie dauerte diesmal bis 1611 und musste so gefährlich gewirkt haben, dass die Stadtväter sogar den Handel von und nach draußen verboten und die Torwachen verstärkten. Die Stadt hatte sich verbarrikadiert wie im Krieg. Während der Pest-Epidemie in Calbe von 1623/24 sollen sogar drei Gespenster auf dem Lorenz-Friedhof erschienen sein. Diese drei Erscheinungen hätten verschiedene Leute gesehen, die das auch auf ihren Eid nehmen wollten. "Anno 1638 hat sich wiederum ein Sterben in der Stadt angefangen, weshalber unterschiedene Leute nacher Köthen, damit und andere Orte und flüchteten, viele aber derer, so geblieben, in wenig Tagen gesund, bald aber krank und tot geblieben sind." Während 1680/1681 im gesamten Herzogtum die Pest grassierte, wurde Calbe davon nicht so stark betroffen. Deshalb zogen die Kurfürstliche Regierung und das Konsistorium vorübergehend von Halle nach Calbe. Die Huldigungsfeiern von 1680 wurden auf 1681 verschoben. Seit dem August des Jahres 1681 ordnete der Calbesche Rat an, dass die Calber Toten ohne Gesang, also in aller Hast und Eile begraben werden sollten. Trotz der immer noch herrschenden Gefahr ließ sich Kurfürst Friedrich Wilhelm zusammen mit seiner Gemahlin in Magdeburg, Calbe und Halle im Mai 1681 huldigen (vgl. Abschnitt 1680 – 1815)).  Im 18. Jahrhundert wurde die Pest in Calbe weitgehend eingedämmt, was wohl an den verbesserten hygienischen Bedingungen lag (vgl. ebenda).

Großen Mut und eine tiefe Nächstenliebe bewies in Calbe und Umgebung nur ein Mann, welcher als Pestpfarrer (pestilentarius) tätig war, der Lorenz-Vorstadt-Pfarrer Cyriakus Müller, während sich die höher gestellten Geistlichen der Stadt "für spätere bessere Zeiten schonen" mussten. Dieser beachtenswerte Mann, den die Herren Kirchenvisitatoren 1562 als "nicht besonders gelehrt" einschätzten, besaß jedoch das, was man als "Herzensbildung" bezeichnen kann. Er betreute auch in "normalen" Zeiten die Armen und Siechen der Hospitalstifte.

Der wegen der großen Sterblichkeit während der Pestwelle von 1548 bis 1552 neu angelegte Stadtfriedhof (1551) in der Bernburger Vorstadt, gleich neben dem Lorenzfriedhof der beiden Vorstädte, war eine zunächst von den Bürgern bekämpfte Notlösung (vgl. Station 19).

Der Rat der Stadt kaufte das Gelände östlich vom schon vorhandenen Vorstadt-Friedhof bei der St.-Laurentii-Kirche. Das neu entstandene Friedhofsterrain wurde mit einer hohen Mauer umgeben.

Das Eingangs-Doppeltor befand sich dicht am Bernburger Stadttor. Ein Predigerstuhl, d. h. eine Behelfs-Kanzel, wurde im Freien errichtet und neue Bänke wurden für die Stadtbewohner in der Lorenzkirche installiert.

Am 29. September 1551 hielt der Stadtpfarrer (1547 - 1593) und vehemente Anhänger der Reformation Leonhard Jacobi (vgl. unten) die Einweihungsrede. Der uralte Vorstadtfriedhof lag nun auf der Westseite bei der Kirche, der neue Stadtfriedhof auf der Ostseite an der Bernburger Straße, beide durch eine Mauer getrennt, die nach dem Dreißigjährigen Krieg abgetragen wurde; Grenzsteine blieben jedoch. Die "städtischen Verstorbenen" wurden von dem oben erwähnten Predigerstuhl im Freien unter einem Mandelbaum verabschiedet, die vorstädtischen noch einmal durch "ihre" geöffnete St.-Laurentii-Kirche getragen. Damals gab es noch eine zweite Kirchentür, die jetzt zugemauert ist.

1844 wurde dieser (zweifache) Lorenzfriedhof geschlossen (1875 fand die letzte Beerdigung statt).

1569 war auch das Kloster „Gottes Gnade“ säkularisiert worden. Nach einem kurzzeitigen Versuch der Rekatholisierung während des Dreißigjährigen Krieges kam es in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts unter die Verwaltung des landesherrlichen Schlossamtes, nachdem Administrator August von Sachsen-Weißenfels wenigstens die Wirtschaftsgebäude wieder aufbauen bzw. reparieren lassen hatte.

 

Unmittelbar nach der Etablierung der Reformation im Magdeburger Land begann sich die Gegenreformation zu formieren und zum Gegenschlag auszuholen. In Calbe hatte sich die Reformation immer weiter gefestigt. Einige Calbesche Geistliche waren mit dem Reformator, Humanisten und führenden Theologen des Protestantismus Philipp Melanchthon bekannt, und der oben erwähnte Pfarrer Leonhard Jacobi war aus Magdeburg, der Hochburg des Protestantismus, nach Calbe gekommen.

Nachdem die protestantischen Fürsten den Schmalkaldischen Bund gegründet hatten, versuchte die Gegenseite mit Kaiser Karl V. an der Spitze, den Protestantismus im Schmalkaldischen Krieg aus Deutschland auszumerzen. Der Protestant Moritz von Sachsen kämpfte an der Seite des Kaisers gegen die Protestanten, besonders gegen seinen Vetter, den Kurfürsten Johann Friedrich I. (der Großmütige) von Sachsen, um dessen Kurfürstenkrone übernehmen  zu können – eines der vielen Beispiele aus jener dramatischen Zeit dafür, dass es vielen Fürsten weniger um die Glaubensrichtung, als vielmehr um Machterweiterung ging. Johann Friedrich hatte 1547 schon kurzfristig das Magdeburger Land und damit auch das Calbesche Gebiet  Sachsen einverleibt, als ihn sein Vetter mit den kaiserlichen Truppen in der Entscheidungsschlacht am 24. April 1548 bei Mühlberg (zwischen Torgau und Riesa) schlug. Nun wurde Moritz sächsischer Kurfürst; der Schmalkaldische Bund zerfiel. Karl V. verkündete auf dem Augsburger Reichstag  1548 eine „Zwischenreligion“, das Augsburger Interim, welches an die Protestanten Zugeständnisse machte, im Wesentlichen aber auf katholischen Positionen blieb. Die Stifter Magdeburg und Halberstadt, auch die Stadt Calbe und andere Städte, lehnten auf einer Synode in Eisleben das Interim rundweg ab. Calbe machte sogar durch vier eigene Kampfschriften Leonhard Jacobis von sich reden. Den Rat der Stadt Calbe hatte Jacobi hinter sich.  Magdeburg wurde Zentrum des Widerstandes und deshalb 1550/51 von den kaiserlichen Truppen  unter Moritz von Sachsen belagert. Das Umland  bekam die Schrecken des Landsknechtskrieges zu spüren, besonders durch die barbarischen Söldner des Herzogs Georg von Mecklenburg (vgl. Hertel,Geschichte, S. 34). Das ehemalige Kloster Gottesgnaden (vgl. Abschnitte 1 und 2) wurde durch die Soldateska des sächsischen Obersten Severin Lorenz ausgeplündert, der Auftakt zum Verfall des Klosters war gegeben. 1548 brannte das Kloster fast völlig nieder. Zu diesem Zeitpunkt lebten noch zwei Mönche mit dem letzten katholischen Propst (Klostervorsteher) Johann de Pusco in dem verfallenden Gemäuer. Der Propst sprach von Brandstiftung durch die Klosterfeinde. Im Volke dagegen ging das Gerücht um, der Propst hätte Ostern mit einer Schar Weiber (- offizielle Huren gab es allerdings in Calbe seit 1543 nicht mehr -) gefeiert und sich dabei so "vol getruncken", dass er in dem Chaos seine Schlafkammer selbst angesteckt habe. Wer lügt, ist heute nicht mehr zu belegen. Am 15. Februar 1550 kam vor den Stadttoren Feuer auf. Die (angeblichen?) Brandstifter wurden gefasst und auf der Radelbreite nahe dem Mägdesprung verbrannt. Nach der Kapitulation Magdeburgs 1551 plünderten katholisch-sächsische Landsknechte die Städte des ehemaligen Stiftes. Es kann sein, dass die seit 1549 in Calbe grassierende Pest (s. oben) die beutegierige Soldateska bis zu einem gewissen Grade abschreckte.

Als der Kaiser sich anschickte, eine Universalmacht zu errichten, kam es 1552 zu einer Fronde der protestantischen Fürsten gegen ihn. Flugs wechselte der machtgierige Moritz die Seite und führte nun die protestantische Fürstenfront an. Nach mehreren Schlachten kam es schließlich zur Aufhebung des auf beiden Seiten verhassten Interims und 1555 zum berühmten Augsburger Religionsfrieden zwischen den Katholiken und den als gleichberechtigt anerkannten Protestanten (- Reformierte waren davon ausgeschlossen -) mit der bekannten Formel „cuius regio, eius religio“. Die Landesfürsten konnten entscheiden, welche der beiden Konfessionen in ihrem Gebiet die Untertanen annehmen mussten. Das führte dazu, dass es heute noch Landschaften mit vorwiegend katholischer oder protestantischer Bevölkerung gibt und dass in einigen Fällen auch eine Wanderbewegung der Bürger und Bauern einsetzte.

1562 wurde unter dem ersten und letzten protestantischen Erzbischof Sigismund Markgraf von Brandenburg, einem jungen Mann (Regierung 1552 – 1566), der sich mit Eifer der Reformation und dem Aufbau eines protestantischen Beamtenstaates verschrieben hatte, aber jung verstarb, die erste evangelische Kirchenvisitation auch in Calbe durchgeführt. Dabei kamen einige Defizite sowohl im Glauben der Bürger als auch in der Ausbildung einiger Pfarrer zu Tage (vgl. Reccius, Chronik, S. 37). Sigismund war 1552 im Schloss Calbe vom Domkapitel 14jährig in sein Amt eingesetzt worden. Hier fand auch im Januar/Februar 1564 der Landtag unter dem Erzbischof statt, bei dem 578 Taler verbraucht wurden und der den Gewerbetreibenden der Stadt einen beachtlichen Profit brachte. Die Nachfolger Sigismunds nannten sich klugerweise nicht mehr Erzbischöfe, sondern Administratoren. Der erste Magdeburger Administrator war Joachim Friedrich (Regierung 1566 – 1598), späterer Kurfürst von Brandenburg. Unter ihm wurde der Ausbau des Beamtenstaates weiter vorangetrieben, was zu Konflikten mit den um Selbständigkeit ringenden Stadträten führte. Nach der Säkularisation des Klosters „Gottes Gnade“ kam auch die Calber Saalemühle  unter die Zuständigkeit des Administrators, worauf eine Relieftafel an einem Mühlengebäude heute noch hinweist (s. Abb. rechts). Joachim Friedrich ordnete 1585 an, die Haushaltsführung der Stadt Calbe genauestens zu überprüfen. Bei der Revision kamen hohe Schulden, Diebstahl und Korruption ans Tageslicht. Durch einige Ratsmitglieder geraubte und zur persönlichen Bereicherung verschleuderte katholische Kirchenschätze mussten wieder beschafft und dem Fiskus zugeführt werden. Sogar das Stadtsiegel und mehrere Kanonen waren versetzt worden. Alles musste wieder an Ort und Stelle. Zwischen 1563 und 1582 hatte der Rat ständig mehr ausgegeben als eingenommen, und die Schuldenlast betrug 7429 Taler, nach heutiger Währung eine siebenstellige Ziffer. Ein loyaler Beamter wurde nun als Bürgermeister eingesetzt, und das Amt des Stadtschreibers, des einzigen Experten für Recht und Finanzen, musste 1593 ein Akademiker übernehmen (Magister Quirin Rudinger). Dabei blieb es in der Folgezeit (vgl. ebenda S. 41). Unter Joachim Friedrich wurden die Bürger an „Recht und Ordnung“ gewöhnt. Das Stadtgericht tagte montags, Inspektionen der Schule, der Feuerstellen und Dächer fanden halbjährlich statt, und die Fleischbeschau wurde eingeführt. Die klar formulierte Haus- und Straßenordnung verkündete der Rat im Burding. Auch das Gewicht und die Preise der von den Innungen angebotenen Waren überprüften die Beamten. Das alles führte zu einem lange anhaltenden Kleinkrieg zwischen den Beamten im Schloss, kurz Amt genannt, und dem um kommunale Selbständigkeit ringenden Rat. Interessanterweise wurden die Beamten dabei von den Vertretern der Mittelschicht, den Sechsmännern, unterstützt. Dafür bekamen sie allerdings die Rache der Ratsherren zu spüren, z. B. indem man sie bei Rechtsfällen als untergeordnet einstufte. Für das gleiche (kleinere) Vergehen bekam ein Ratsherr Hausarrest, ein Sechsmann dagegen Gewahrsam im Rathaus (vgl. ebenda, S. 57).

Der Versuch des Rates, sich das Patronatsrecht über die St.-Laurentii-Kirche vom Schlossamt anzueignen, scheiterte 1589.

Auch die Fischerei-Brüderschaft, die als Vorstadt-Genossenschaft dem Amt unterstand, wurde in diese politischen Kompetenz-Rangeleien am Ende des 16. Jahrhunderts mit hineingezogen.

Als der promovierte Stadtschreiber Rudinger zum Stadt- und Landrichter berufen wurde, stellte er sich schon seiner Stellung wegen auf die Seite des Schlossamtes. Die Angriffe des Rates richteten sich sofort gegen ihn. Aber der Schlosshauptmann (Amtmann) von Veltheim, der Großvater der späteren Gräfin Anna Margareta von Wrangel, beanspruchte nun auch noch das schon lange abgeschaffte Mitspracherecht bei der Ratswahl. In den Beschwerden an die Magdeburger Regierung beharrte der Rat auf seinen bisher mühsam errungenen Privilegien. Er und die Bürgerschaft seien nur an die Anweisungen des Administrators und seines Domkapitels gebunden. Da aber liefen die Ratsherren gegen die Intensionen ihres Landesherren an, der einen straff organisierten, hierarchisch strukturierten Beamtenstaat anstrebte. Während der Amtmann noch eine Vetternwirtschafts-Affäre des Bürgermeisters aufdeckte, kam 1601 der landesherrliche Bescheid, dass der Rat den Entscheidungen des Amtmanns zu folgen habe und die Gerichtsbarkeit die Angelegenheit des Schlossamtes sei. Nur bei einfachen Delikten, wie Verletzungen der Haus- und Straßenordnung, könne der Rat leicht strafen. Handelsangelegenheiten und Zahlungskonflikte gehörten vor das Gericht des Amtes. Der Rat dürfe keine Zeugen vernehmen oder Pfändungen durchführen (vgl. ebenda, S. 43 f.). Der sich konsolidierende Beamtenstaat hatte gesiegt. Bis 1620 war auch die Funktion des aus früher Zeit stammenden Ältestengerichtes beseitigt wurden (vgl. ebenda, S. 45).

Der Aufbau des brandenburgisch-preußischen Beamtenstaates wurde jäh durch den Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) unterbrochen.

Von der ersten Etappe des Krieges, dem böhmisch – pfälzischen Krieg, merkten die Calbenser nichts. Erst mit dem Eintritt des Dänenkönigs Christian IV. in das europäische Machtpoker wurde der Krieg auch in unsere Gegend getragen. Vom Jahr 1625 an begann das lange Leid der Bevölkerung des Magdeburger Landes, des Gebietes, das seit diesem Zeitpunkt mit  am schlimmsten in diesem Kriege betroffen wurde.

Bald rückten Truppen der Liga unter General Johann Tserclaes Graf von Tilly (1559 - 1632) gegen Calbe, und der Landtag, der das Bündnis zwischen dem Dänenkönig Christian IV. und dem Administrator Christian Wilhelm Markgraf von Brandenburg (Regierung 1598 – 1631) vertiefen sollte,  wurde schleunigst geschlossen. Soldaten des Administrators mussten das Schloss besetzt halten. Tillys Söldner erstürmten daraufhin die Mauern und die Schlossfestung und richteten unter den Markgräflichen ein grauenhaftes Gemetzel an. Anschließend wurde die Stadt geplündert. Wenig später, am 12. Oktober, kam der neu ernannte Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen, Albrecht Wenzel Eusebius Graf von Wallenstein (Waldstein), Herzog von Friedland (1583 - 1634), in Eilmärschen von Eger (heute: Cheb) über Halberstadt und Aschersleben nach Calbe, um sich in der Gegend mit den Liga-Truppen Tillys zu vereinigen. Der Rat öffnete ihm die Tore, nachdem er Kanonen vor den Mauern auffahren ließ und der Stadt eine faire Behandlung zugesichert hatte. Wallenstein blieb nur ganz kurz in Calbe, er übernachtete wahrscheinlich im "Goldenen Stern" (Schlossstraße 83). Seine verwundeten und kranken Soldaten ließ er in die Hospitäler legen und zog mit seiner Armee über Salze (Schönebeck) nach Halle und Querfurt weiter. 1626 war das Magdeburger Land, außer Magdeburg selbst, in den Händen der katholischen Partei. Tilly hatte am 27. August 1626 in der Schlacht bei Lutter am Barenberge Christian IV. vernichtend geschlagen. 1629 zog sich der dänische König aus Norddeutschland zurück, aber bald darauf landete 1630 ein mächtigerer „Beschützer“ der Protestanten in Pommern, König Gustav Adolf von Schweden. Während viele protestantische Fürsten zögerten, schlossen sich der Magdeburger Administrator Christian Wilhelm und die Stadt Magdeburg sofort dem Schwedenkönig an, obwohl das Magdeburger Gebiet noch in der Hand von katholischen Truppen und die Macht des Kaisers und der Liga damals auf ihrem Höhepunkt waren. Der Administrator hatte überall im Land Soldaten werben und in den meisten Städten Verteidigungszentren einrichten lassen, die jedoch wegen der militärischen Unfähigkeit Christian Wilhelms gestürmt und geplündert wurden.

Auch in die Veste Calbe, die im August 1630 von einer kleineren kaiserlichen Besatzung geräumt worden war, hatte er eiligst am 14. September 750 Musketiere entsandt, die aber sofort von 2 Regimentern (etwa 1600 - 2000 Mann) der Kaiserlichen unter General Viermond von Neersen verfolgt wurden. Ein Desaster schien vorprogrammiert. Wenige Tage später erschien Viermond und ließ Calbe, das Schloss und die Schanzen auf dem Heger mit kurzen, schweren 40-Pfünder-Geschützen und Feld-Schlangen unter Dauerbeschuss nehmen. Die Verteidiger, Soldaten und Bürger, wehrten sich tapfer, die Bürger sogar mit Steinen. Dabei verloren die Angreifer 300 Mann. Nach dem Bericht eines Zeitgenossen, des Pfarrers Jacob Möser aus Staßfurt, gelang es der kaiserlichen Übermacht am 22. September, durch Brandlegung am Schlosstor eine Schwachstelle zu erzeugen, die erschöpften Verteidiger, von denen 200 fielen, zu überrumpeln und um 11 Uhr vormittags in die Stadt einzudringen. Nun begannen die grauenvollsten 21 Stunden in der Calber Neuzeitgeschichte, die Überwältiger kannten kein Pardon. Es wurde geraubt, vergewaltigt und gemordet. Von Beutegier und Alkohol rasend geworden, wälzte sich die Soldateska Viermonds durch die Straßen Calbes. In der Stadt selbst wehrten sich die bürgerlichen und militärischen Verteidiger noch bis 17 Uhr gegen die starke Übermacht. Das Plündern und Schänden aber dauerte bis zum nächsten Morgen 8 Uhr, als durch ein Trommelsignal der Befehl zum Beenden des Plünderns gegeben wurde. Einige der Verteidiger, die nach dem Sieg der Übermacht nach Gottesgnaden geflüchtet waren, wurden von kroatischen Reitern durch eine Furt verfolgt und fast alle getötet. Viele Bürger, auch die Geistlichen, hatten sich in die St.-Stephani-Kirche zu retten versucht. Die Plünderer rammten jedoch die schweren Eichentüren auf, öffneten gewaltsam das Gewölbe der Sakristei, raubten alle Kostbarkeiten und stöberten auch die Menschen auf, die sich auf den Türmen und in der Wrangelkapelle versteckt hielten. „In Summa, sie konnten nicht sagen, was für ein Jammer da gewesen“, schrieb Möser. Den überlebenden Bürgern hatte man die Kleidungsstücke abgenommen, so dass sie in Lumpen gehüllt die zahlreichen Toten, unter denen auch der Bürgermeister Döring war, in Massengräbern begraben mussten. Diese Gruben hatte man eiligst, obwohl der Kirchhof schon offiziell seit 1551 geschlossen war (s. oben), in der Nähe der Schule, also auf der Nordseite der St.-Stephani-Kirche ausgehoben. In diesen schwarzen Stunden der Calbeschen Geschichte wird es auch gewesen sein, dass ein großer Teil der Akten und Urkunden aus dem Archiv in die Saale geworfen und vernichtet wurde. Zur Mahnung und Anklage blieben noch fast ein Jahrhundert lang die großen Blutflecke an der nördlichen Mauer und das Blut eines um Gnade flehenden und in der Schlosskapelle erstochenen Bürgers vor der Kanzel sichtbar.

Auch die Rittergutsbesitzer von Haugwitz und ihre damals 8 Jahre alte Tochter Anna Margareta waren durch die Plünderungen verarmt. Wie aus einer Leichenpredigt hervorgeht, starb der Vater Anna Margaretas, Balthasar von Haugwitz, schon "frühzeitig" in Brandenburg und musste dort auch wegen der Kriegsereignisse beerdigt werden.

Zehn Jahre später heiratete der schwedische Oberst und nachmalige Generalmajor Carl Gustav Wrangel (1613 - 1676), der spätere Graf von Salmis, die schöne besitzlose Anna Margareta aus Calbe.

 

Es war eine durchaus glückliche Ehe. Seit 1640 ging die Karriere des befähigten Kriegsgewinnlers mit der schönen und cleveren Frau an seiner Seite steil aufwärts.

Während der Vorbereitungen zur Belagerung der Stadt Magdeburg im Mai 1631 hatte Calbe Einquartierungs- und Requisitionslasten durch die kaiserlichen und ligistischen Truppen unter Graf Gottfried Heinrich zu Pappenheim (1594 - 1632) und Tilly zu tragen. Inzwischen waren einige Bürger in die vermeintlich sichere Stadt Magdeburg geflohen, jedoch ereilte sie auch dort ein grausames Schicksal, wie das des Melchior Heydenreich, der mit einem Pferd in die große Stadt geflohen war, während der Belagerung das Pferd verzehren musste und bei der Erstürmung und Zerstörung Magdeburgs ums Leben kam. Tilly, der Magdeburg am 10. Mai 1631 gestürmt und zerstört hatte, wurde aber selbst am 17. September bei Breitenfeld von Gustav Adolf vernichtend geschlagen. Der damals erfolgreichste schwedische Feldherr Johan Banér (1596 - 1641) belagerte nun Magdeburg.

Am 31. Oktober erschien er in Calbe, und beim Kampf gegen die Kaiserlichen kam es erneut zum Blutvergießen. Den Kaiserlichen unter Pappenheim gelang es noch einmal, Magdeburg aus der Umklammerung Banérs zu befreien, die Schweden zogen sich auf Calbe zurück. Bald jedoch musste Pappenheim Magdeburg wegen Versorgungsschwierigkeiten aufgeben und zog in Richtung Weser ab, Banér folgte ihm mit seinem Heer. Die Schweden siegten in weiten Teilen Deutschlands und stellten auch in Calbe die "Ruhe und Ordnung" der Sieger her. Banér bekam 1632 für seine militärischen Verdienste die Ämter Egeln, Athensleben und Hadmersleben, der Kanzler Stalmann bekam Gottesgnaden. Damit hörten aber die Belastungen für Calbe durch Einquartierungen und Lieferungen nicht auf. 1632 war Calbe Kompanie-Sammelplatz des Hauptmanns Adolf Wilhelm von Krosigk. Dafür hatte Calbe die Unterbringung und Löhnung aufzubringen. Der Krieg musste eben auch auf der protestantischen Seite den Krieg ernähren. Am 29. Februar berechnete der Rat  für die von ihm gezahlten Kriegskosten 14237 Taler und 7 Groschen, eine gewaltige Summe, nach heutigem Geldwert eine zweistellige Millionensumme; außer den zerstörten Gebäuden und Auslösungen, außer den 6000 Pfund Brot und vielen Säcken Getreide als Armeeproviant und außer den aus dem Rathaus geraubten Kostbarkeiten, was alles zusammen auch noch einige tausend Taler ausmachte. Bald kamen auch noch die Truppen des Herzogs Georg von Lüneburg, "ein böse schädlich Volk", das "die Leute heftig geplaget und gepeiniget" in die Stadt. Nun setzte eine große Fluktuation ein, weil viele Bürger die hohen Kontributionen nicht mehr aufbringen konnten. Sie ließen ihr Hab und Gut im Stich und flüchteten aus der Stadt.  Inzwischen konnten die Bäcker nicht mehr backen, weil ihnen das Mehl fehlte. Wegen des Marodeur-Unwesens mussten die Bürger zusätzliche Wachen für die Tortürme stellen. Als die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg dem Frieden von Prag 1635 beitraten, waren die Schweden plötzlich zu Feinden geworden. Banér schlug im Juli ein Lager zwischen Staßfurt und Calbe mit 15 000 Mann auf, was die Städte, besonders aber auch die noch vorhandenen Dörfer, wiederum enorm belastete. Im Herbst wurden die Schweden von den sächsischen Truppen gezwungen, die Stifter Magdeburg und Halberstadt zu räumen und sich nach Brandenburg zurückzuziehen. Nun erhielt Calbe eine kursächsische Besatzung. 1636 vertrieb aber Banér wieder die Sachsen und rächte sich bitter an den leidgeprüften Städten. Zuerst wurden von ihm Stadt und Schloss Barby gestürmt und geplündert. Dann zog Banér in Eilmärschen nach Calbe, Könnern, Löbejün und Eisleben, welche kursächsische Besatzungen hatten. Diese Städte wurden gestürmt und geplündert und mussten blutig büßen, dass sie ihm von den Kursachsen weggenommen worden waren. Calbe blutete am 18. Januar 1637 bei einer fast ebenso verheerenden Plünderungsorgie wie seinerzeit 1630. Kaufleute, die von der Leipziger Messe kamen, raubte Banér unterwegs aus. Nach der Erstürmung und Plünderung musste nun Calbe wieder unter schwedischer Besatzung leben. Der Kurfürst von Sachsen, der Banér verfolgte, versuchte im Januar 1636 sechsmal vergeblich, Calbe zu stürmen. Baner  ging mit mehreren Regimentern über die Saalebrücke und schlug 12 Regimenter der Sachsen am Petersberg bei Halle. Die Calber Saalebrücke hatte er durch 1000 Mann sichern und mit Kanonen bestücken lassen, so wichtig war ihm dieser Übergang für seinen Rückzug nach Magdeburg, wo er ein großes Getreidevorratslager angelegt hatte. Bevor die Schweden sich (fast für immer) aus unserer Gegend „verabschiedeten“, ließ Banér durch seinen Oberst Golz die Brücke und das Kloster, nach Plünderung des letzten noch vorhandenen Brauchbaren, niederbrennen. Im Juli 1636 verließ Banér die Stadt Magdeburg, um in Wittstock an der Dosse die Kaiserlichen und die Kursachsen in einer bedeutsamen Schlacht zu schlagen. In unsere Gegend aber rückten die Geschlagenen ein. Die Kaiserlichen wurden befehligt von  Matthias Graf von Gallas (1584 oder 1588 - 1647), einem zu jener Zeit  von der Trunksucht gezeichneten, strategisch unfähigen Trientiner, dem man den tödlichen Verrat an Wallenstein nachsagte. Mit diesen neuen Herren begann hier wieder eine schlimme Zeit. Besonders hatten es die Kaiserlichen auf anhalt-zerbstische Dörfer und Städte abgesehen, wo sie die schlimmsten Grausamkeiten verübten. Calbe blieb aber weitestgehend von den Besuchen der Gallas-Horden verschont, weil - welch Ironie - die Brücke fehlte. Kaum war Gallas verschwunden, rückten 1637 wiederum Kaiserliche, diesmal unter Giovan Lodovico Freiherrn von Isolani (1580 oder 86 - 1640), erneut vor Calbe, wo sie ebenfalls übel hausten. Isolani war General einer Hilfstruppe, der kroatischen leichten Kavallerie. Das war eine Horde privilegierter Mörder, Räuber und Brandstifter, die die Aufgabe hatten, den Gegner, wo es nur ging, zu stören, Beute zu machen  und die Bevölkerung zu terrorisieren. Vor Calbe droschen sie das Getreide gleich auf dem Feld aus. Eine Abteilung dieser gefährlichen Reiter hatte es geschafft, in Calbe einzudringen. Plötzlich sprengten sie auf den Marktplatz, wo sich einige Bürger, auch der Bürgermeister, eiligst hinter einer steinernen Barrikade, der so genannten Brustwehr, verschanzten. Die wilden Attacken der Kroaten konnten durch einige gezielte Schüsse der geübten Bürger-Schützen abgewehrt werden. Die Isolani-Reiter machten sich aus dem Staub.

Plündernde bayrische Truppen, die die Salpeterhütte zerstörten und die St.-Laurentii-Kirche stark beschädigten, lagen 1640 in der Stadt. 1641, kurz vor Banérs Tod, erschien das Heer der Schweden noch einmal an der Stelle, an der die Brücke 5 Jahre zuvor zerstört worden war. Banér ließ unter großem Aufwand und erzwungener Mithilfe der Bevölkerung eine Ponton-Brücke aus Fässern bauen, um nach Magdeburg überzusetzen. Kaum war die Armee auf dem linken Ufer, ließ er das Meisterwerk zerstören, weil die Kaiserlichen folgten. Bei dieser Gelegenheit könnten Banérs Stellvertreter, Oberst Wrangel, und seine frisch vermählte schöne Ehefrau Anna Margareta die Südkapelle an der St.-Stephani-Kirche besucht und eine Schenkung vorgenommen haben, durch welche die Kapelle bis heute als Wrangel-Kapelle in Erinnerung blieb.

1643 zogen wie auch vorher schon marodierende Söldner durch die Calber Feldmark, die es besonders auf Pferde abgesehen hatten. Bauern und Bürger, die sich weigerten, ihre existentiell wichtigen Tiere herzugeben, wurden von den Marodeuren einfach niedergeschossen. 1644 lagen sich wieder die Kaiserlichen unter Graf Gallas und die Schweden unter dem neuen schwedischen Oberbefehlshaber Torstenson drei Monate lang vor Bernburg gegenüber, und das ging stark auf Kosten der Dörfer bzw. der Calbeschen Südvorstadt. In diesem „Stellungskrieg“ wurden die Häuser der Bauern samt Einrichtung einfach abgerissen und in den Söldner-Lagern wieder aufgebaut. Einiges wurde auch als Feuerholz benutzt. Die Bauern jedoch, deren Haus, Hab und Gut abtransportiert worden war, mussten sehen, wie sie im Freien überlebten. Einige Dörfer wurden ganz vernichtet, wie z. B. Zuchau. Von den 72 Bauern vor dem Kriege war danach keiner mehr vorhanden. Zuchau war „bis auf den Grund verderbet worden, da von keinem Gebäude so viel überblieben, daß man eine Suppe dabei bereiten mögen.“ Die Laurentiuskirche in der Bernburger Vorstadt wurde von Gallas-Plünderern stark beschädigt. Sogar in der Stadt Calbe selbst hatten sich beide Armeen 1644 drei Monate lang eingenistet. Auf dem Heger mussten die Calbenser Schanzen errichten, noch heute "Schwedenschanzen" genannt, wobei die Bürger Fuhren leisteten, die Hörigen und Leibeigenen aber, die keine Pferde besaßen, selbst zu Hacke und Schaufel greifen mussten.

 

Als sich die Kriegswalze 1645 allmählich in Richtung Süden nach Hessen und Bayern schob, konnten die Calbenser wieder aufatmen. Im Wesentlichen war für sie der Krieg nun vorbei. Die Bauern der umliegenden Dörfer und die Bewohner der Vorstädte aber holten sich aus den verlassenen Lagern ihre zum Teil noch brauchbaren Habseligkeiten und ihr Hausbaumaterial zurück. Während des gesamten Krieges hatten die Dörfer und Vorstädte am meisten zu leiden gehabt, weil sie schutzlos in der Landschaft lagen. Die Schlossvorstadt befand sich genau an der strategisch wichtigen Saalebrücke, über die sich alle Kriegsvölker herüberwälzten und dabei zuerst auf die arme Bevölkerung der Ketzerei und Gröperei trafen. Zogen die Söldner von Süden über Bernburg und Nienburg heran, trafen sie auf die Bernburger Vorstadt. Am schlimmsten aber erging es den Bauern in den Dörfern, die von der Soldateska oft schlechter als Vieh behandelt wurden. Die zum Amt Calbe gehörenden Dörfer waren so verwüstet, dass es kaum noch Zugtiere und Menschen für die Frondienste gab und dass weite Ackerflächen wüst lagen. Nur 14 Hufen, das war etwa ein Zehntel des ursprünglichen Ackerlandes der Stadt Calbe,  wurden am Ende des Krieges noch bestellt. Die Einwohnerzahl war auf etwa die Hälfte reduziert.

Die Friedensverhandlungen in Westfalen und die Friedensschlüsse von Münster und Osnabrück 1648 nahmen die verbliebenen Calber Einwohner nur apathisch zur Kenntnis. Nach Abzug der letzten Schweden wurde in allen Kirchen des Erzstifts Magdeburg ein Friedensdankfest gefeiert und "dabei gedacht, in was vor unaußsprechlichen Unglück wir so lange gestecket und was Friede und Ruhe vor eine unermeßliche Wohlthat sey."

Nach den Bestimmungen des Westfälischen Friedens blieb das Magdeburger Land bei Administrator Herzog August von Sachsen-Weißenfels (Regierung 1631 - 1680) bis zu dessen Tod. August, der zweite Sohn des sächsischen Kurfürsten Johann Georg I., war 1635 Nachfolger des verstorbenen Magdeburger Administrators, des brandenburgischen Markgrafen Christian Wilhelm, geworden und residierte seit 1642 in Halle. Danach sollte das ehemalige Erzstift Magdeburg als Herzogtum zu Brandenburg-Preußen kommen, was dann auch 1680 geschah.

Gleich nach diesen Festlegungen verlangte der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm von den Ständen des Magdeburger Landes eine Eventualhuldigung im Schloss von Calbe, die aber dann doch in Groß-Salze (heute Teil von Schönebeck) am 4. April 1650 stattfand. Wahrscheinlich war das Calber Schloss in keinem guten Zustand. Auf die richtige Huldigung musste der Kurfürst noch 30 Jahre warten, denn Administrator August erfreute sich bester Gesundheit.

Ausgerechnet beim Übergang vom "finsteren" Mittelalter zur "aufgeklärten" Neuzeit trat eine kollektive Hysterie auf, die sich in der Verfolgung und physischen Vernichtung angeblich vom Teufel besessener Frauen, aber auch Männer und Kinder äußerte. Hunderttausende fielen seit dem Ende des 16.Jahrhunderts in Europa und den europäischen Kolonien dem kollektiven Irrsinn zum Opfer.

Seit dem 16. Jahrhundert zog sich die europäische Kirche mit ihrer Ketzer verfolgenden Inquisition mehr und mehr aus dem schmutzigen "Geschäft" zurück und überließ den Fürsten und deren Beamten die Verfolgung der Schadenszauberer, Hexen genannt. 1487 hatte der deutsche Dominikanermönch und Inquisitor Heinrich Kramer („Institoris“) unter Mitwirkung des Dominikaners Jacob Sprenger ein Buch zur Bekämpfung der Hexen, "Malleus maleficarum" (Hexenhammer), "das verrückteste und dennoch unheilvollste Buch der Weltliteratur“ geschrieben. Es war eine Gebrauchsanweisung zur brutalen "Befragung" einer besonderen Gruppe von Ketzern, den Schadenszauberern, den Behexern. Dabei dachte er wie viele seiner Glaubensbrüder aufgrund einer starken Körper- und Sexualitätsfeindlichkeit der damaligen herrschenden Kirchenideologie in erster Linie an Frauen. Folgerichtig waren auch 80 Prozent der Beschuldigten Frauen. Kramer ging von einer Verschwörungstheorie aus, dass die Klimaverschlechterung, die Naturkatastrophen und Seuchen sowie die Unsicherheit durch soziale Umwälzungen von einer Sekte der Schadenszauberer verursacht würden.

Aber erst ca. hundert Jahre nach diesem pathologischen Buch, in der Krise des Feudalismus am Ende des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, kam es zum vollen Ausbruch des Wahns. Dabei wurden nicht nur Frauen, sondern auch Männer und Kinder, nicht nur Angehörige der Unter-, sondern auch der Oberschichten auf grausame Weise durch die staatlichen Organe mit Duldung nicht nur der katholischen, sondern auch der protestantischen Kirche vernichtet. Bei den Prozessen wurde durch "Besagungen" (Beschuldigung weiterer Menschen unter der Folter) ein regelrechtes Schneeballsystem aktiviert.

Während des Abklingens des Hexenwahns im 18. Jahrhundert wurden in allen deutschen Städten die meisten Hexenprozessakten vernichtet.

In den zweihundert Jahren des Hexenwahns wurden in Deutschland etwa 100 000 "Hexen" getötet, in Calbe sicher Dutzende.

Eine dieser vermeintlichen Hexen ist in der Erinnerung der Calbeschen Geschichte lebendig geblieben.

Der Hexenprozess war im Jahre 1634, die Frau hieß Ursula Wurm. Sie war bei ihren Mitmenschen unbeliebt, weil sie, verwirrt und dem Trunke ergeben, auf der Straße meistens seltsame Schimpftiraden von sich gab. Bald traten mehrere Zeugen auf, die Ursula Wurm der aberwitzigsten Teufels-Vergehen beschuldigten.

Die grausame Mühle eines Hexen-Prozesses setzte sich für die Frau in Bewegung, aus der es zu 99% kein Entrinnen mehr gab.

Ein vorgeschriebenes Prozessverfahren im 17. Jahrhundert erweckte den Anschein von korrekter Vorgehensweise. An 4. Stelle des Verfahrens stand die Erkundung mittels Tortur nach entsprechender Entscheidung der juristischen Behörde. Die Folter und verschärfte Folter wurde durch den Scharfrichter (Henker) und seinen Gesellen durchgeführt, deren grausamer Phantasie dabei keine Grenzen gesetzt waren. Das Urteil musste durch den Landesherren, in unserem Falle durch den Administrator, bestätigt werden. Erst dann wurde die oder der Unglückliche verbrannt, lebendig gefesselt an einen Pfahl, während die Flammen sich ringsherum entfalteten, bzw. an eine Leiter, die in die schon lodernden Flammen gekippt wurde, oder nach vorherigem Erdrosseln.

Für Schadenszauberer (Hexen) und für Brandstifter war diese Hinrichtungsform vorgesehen.

Nachdem sich der Henker und seine Gesellen zur immer „schärferen Frage“, der verschärften Tortur, gesteigert hatten, gab es für Ursula Wurm nur einen Gedanken: das Ende der Qualen. Nach stundenlanger Folter durch Strecken, Gliederzerquetschen, Rippenzerbrechen und Brennen mit glühenden Eisen gab die gemarterte Frau alles, was die Herren hören wollten, zu Protokoll, z. B. dass sie ihre Zauberkünste vom Teufel gelernt und diese sechs Jahre lang ausgeübt habe. Dabei hätte sie Krankheiten über ein Kind, eine Frau und eine Jugendliche mit Hilfe von Kräutern und Zaubersprüchen gebracht. Vom Teufel habe sie 4 Groschen für den Pakt bekommen und ihm 5 „böse Dinger“ geboren, die sie auch zur Zauberei gebraucht hätte. Als Mitverschworene gab sie zwei bekannte Frauen und ihren Mann an, die auch verhaftet und wahrscheinlich ebenfalls verbrannt wurden.

Nach Verlauf einiger Wochen kam das Endurteil der Ursula Wurm vom Schöffenstuhl in Halle, der vorgesetzten Behörde, die zu der Zeit unter schwedischer Herrschaft stand, und am 10. Juli 1634 wurde sie zur außerhalb der Stadt gelegenen so genannten Radelbreite (heute etwa beim Ärztehaus im Norden der Stadt) gefahren und dort zur Ergötzung und "Abschreckung" des Pöbels und der Bürger öffentlich verbrannt.

Ursula Wurm blieb als die Calber "Hexe" in Erinnerung, obwohl es vor und nach ihr andere Unschuldige gab, die wegen unsinniger religiös verbrämter Behauptungen gefoltert und verbrannt worden waren.

1654 lag die Stadt Calbe mit dem Wiederaufbau zerstörter und verlassener Häuser noch weit zurück (vgl. ebenda, S. 58). Der Rat bemühte sich deshalb, die wüsten Häuser zu günstigen Konditionen an neue Besitzer zu bringen. So lag z. B. nach dem Krieg das Gebäude des ersten Gasthofes von Calbe am Markt wüst, aber schon 1652 erwarb es der ehemalige "Wirt vorm Schloßtor", Jacob Brösel, und baute es wieder auf. Der Rat, der am schnellen Wiederaufbau der vielen wüsten Häuser stark interessiert war, gestattete Brösel ein Freibrauen, um ihm die Bau-Finanzierung zu erleichtern. 1653 war der neue Gasthof fertig, im Mai des gleichen Jahres wurde er eröffnet und später „Brauner Hirsch“ genannt.

Auch die St.-Stephani-Kirche musste nach den Plünderungen und teilweisen Zerstörungen während des Dreißigjährigen Krieges (vgl. oben) wieder saniert werden. Unter dem Bürgermeister Lüdecke und dem Pfarrer Magister Konrad Lemmer, einem Sohn des ersten „Syndicus“ Lemmer (s. oben) wurden mit Hilfe von Stiftungen wohlhabender Bürger die Schäden repariert sowie ein neuer Altar und neue Brautstühle installiert. Schnitzmeister Gottfried Gigas aus Magdeburg, der 1656 den hölzernen Roland geschaffen hatte (s. unten), gestaltete 1658/59 den barocken Hochaltar, dessen Figuren teilweise noch erhalten sind. An Magister Konrad Lemmer erinnert ein zeitgenössisches Holzepitaph in dieser Kirche.

Nach einem kurzzeitigen Versuch der Rekatholisierung des Klosters „Gottes Gnade“ während des Dreißigjährigen Krieges kam es in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts unter die Verwaltung des landesherrlichen Schlossamtes, nachdem Administrator August von Sachsen-Weißenfels wenigstens die Wirtschaftsgebäude wieder aufbauen bzw. reparieren lassen hatte. Die Klosterhauptkirche war nur noch eine Ruine.

Nach der langen „Schwedenzeit“ konnten die Calber Bürger aufatmen, sie waren aber durchaus nicht von der im Friedensschluss in Aussicht gestellten neuen Herrschaft Brandenburg-Preußens begeistert. Das lag wohl daran, dass der brandenburgische (Große) Kurfürst Friedrich Wilhelm (Regierung 1640 -1688) schon vor dem Ableben des aufgeklärten Administrators August von Sachsen-Weißenfels (Regierung 1631 -1680) in die Städte des Magdeburger Landes, obwohl ihm diese nach den Bestimmungen des Westfälischen Friedens noch gar nicht gehörten, militärische Besatzungen legte. In Calbe war das nach Urkundenlage 1672 geschehen (vgl. Hertel, S. 42f.). Diese Besatzungen wurden später Garnisonen genannt. Calbe besaß die zweifelhafte Ehre, 133 Jahre lang, bis zum ersten Zusammenbruch Preußens 1805, eine Garnisonsstadt gewesen zu sein (vgl. Abschnitt 1680 – 1805).

Aber schon nach dem Dreißigjährigen Krieg waren häufig Soldaten zur Unterstützung der Beamten in die Stadt gekommen, eine Polizei als Exekutivorgan gab es noch nicht. Diese Soldaten mussten die Bürger arretieren, wenn sie die Steuern nicht bezahlen konnten.

Da die Bürger nach den Vorstellungen Friedrich Wilhelms „ihre“ Soldaten unterbringen und verpflegen mussten, kam es in Calbe zu regelrechten Revolten der Bürger, zumal sie ja nach geltendem Recht noch gar nicht brandenburgisch-preußisch waren. So musste ein Rittmeister Hammerstein mit seiner Reiterschar schon wochenlang auf Kosten der Calbenser unterhalten werden. Es kam zu Empörungen, die Bürger bewaffneten sich und stellten ein viertel Jahr lang Wachen auf, um weiteren Besatzungszuzug zu verhindern. Daraufhin erklärte der Rittmeister die Stadt für feindlich gesinnt und sammelte in den umliegenden Dörfern seine Soldaten, um Calbe einzunehmen. Der für einen späten Abend im Februar 1673 geplante Angriff wurde jedoch von einem Pfarrer aus einem der umliegenden Dörfer den Calbensern verraten. Die anmarschierenden Truppen und die in der Stadt am Schloss und auf dem Markt operierenden Reiter wurden von den Calbensern, die geübte Schützen waren, in die Flucht geschlagen. Hammerstein konnte mit Mühe das eigene Leben retten.

Hier zeigte sich zum wiederholten Male, wie bedeutsam das Calbesche Schützenwesen für die Autonomiebestrebungen und die Selbstverteidigung der Bürger war. Das sportliche Schießen auf einen Spanholz-Vogel fand auch im 16./17.Jahrhundert auf der Radelbreite beim Mägdesprung statt und war mit stattlichen Preisen verbunden (vgl. Abschnitt 1170 – 1542). 1615 wurden Feuerwaffen außer den Armbrüsten angeschafft, um sich in der neuen Waffentechnik üben zu können.

Die Gewaltaktion der Calbenser gegen die Hammerstein-Besatzung konnte aber die Garnisonierungen nicht abwenden; bereits 1677 ließ ein Oberstleutnant von Lichtenhain gegen den massiven Widerstand des Rates und der Bürger auf dem Marktplatz einen Galgen errichten, an dem desertierte und wieder eingefangene Soldaten gehenkt wurden.

Als der brandenburgische (Große) Kurfürst Friedrich Wilhelm daran ging, die Schweden aus dem Lande zu treiben, und 1675 zu der historischen Schlacht marschierte, die als die Schlacht bei Fehrbellin in die Geschichtsbücher eingehen  sollte, versteckten die Calbenser ihr Vieh auf dem Thie vor den brandenburgischen Truppen, obwohl Bereitstellung von Proviant angeordnet worden war. Sie waren aus verständlichen Gründen den Brandenburgern nicht wohl gesonnen. In der Schlacht bei Fehrbellin in der Prignitz wurden die Schweden unter dem alternden General Wrangel so entscheidend geschlagen, dass der Weg für die spätere brandenburgisch-preußische Vorherrschaft in Norddeutschland frei war. Genau am ersten Jahrestag dieser historischen Schlacht starb Wrangel am 25. Juni 1776 auf mysteriöse  Weise in seinem Schloss Spyker auf Rügen. Seine aus Calbe stammende Frau Anna Margareta war schon 3 Jahre vor ihm am 20. 3. 1673 in Stockholm im Alter von 51 Jahren gestorben. In ihrem Testament hatte sie ihrer „Geburts-Stadt Calbe“ eine bedeutende Stiftung zur Linderung der Not der Armen ausgesetzt. Von ihren 13 Kindern starben die meisten frühzeitig. Die Nachkommen einer Tochter leben heute in aller Welt.

1660 hatten sich die Verhältnisse in Calbe so weit stabilisiert, dass eine neue Willkür (s. Abschnitt 1180 -1542) vom Rat herausgegeben werden konnte. Das geschah wohl auch, um sich von der Jurisdiktion der landesherrlichen Beamten abzugrenzen. Allerdings nutzte das nicht viel. Der Rat demonstrierte jetzt Bürgernähe, indem er einen wöchentlichen Sprechtag (Mittwoch) einrichtete, an dem die Klagen der Stadtbewohner gehört wurden. Das war nach den Wunden, die der Dreißigjährige Krieg in der Stadt und Umgebung geschlagen hatte, auch notwendig geworden.

Entsprechend den Erfordernissen der von Humanismus und Renaissance eingeleiteten „neuen Zeit“, die schließlich in das Zeitalter der Aufklärung mündete, leistete sich die Stadt seit 1599 einen „Syndicus“ als Stadtschreiber, das heißt, einen Verwaltungsexperten des Rates, der einen Universitätsabschluss mit Promotion besaß (1593 promovierter Stadtschreiber Rudinger – s. oben). Der erste Syndikus in Calbe war Magister Konrad Lemmer, für den es eine barocke Steintafel am Eingangsportal des Sparkassengebäudes gibt. 1675 war ein Enkel Lemmers, Johann Friedrich Reichenbach, Syndikus in Calbe geworden. Lemmer und Reichenbach brachten es zu erheblichem Wohlstand.. Lemmer hatte den nach ihm benannten Lemmerhof (heute Gelände der Sparkasse und westlich dahinter) erbauen lassen. Sein Enkel Reichenbach erbte nicht nur diesen bedeutenden großbäuerlichen Hof am Brumbyer Tor, jener wurde auch später Bürgermeister (s. Abschnitt 1680 – 1815) und konnte sich das Rittergut kaufen. Schon 1601 hatten die langjährigen Besitzer dieses Freihofes inmitten der Stadt (s. Abschnitt 1180 – 1542), die Ritterfamilie von Ha(c)ke, das Gut an die von Ingerslebens verkauft. Wenige Jahre später kam es durch Heirat an die Herren von Haugwitz (vgl. Eine der schönsten..., http://de.geocities.com/steinmetz41/). Die Leiden, die der Dreißigjährige Krieg brachte, hatten den Zwist zwischen Rat und Schlossamt in den Hintergrund treten lassen, nun flammte er wieder auf und dauerte bis zum Eintritt in die „Preußenzeit“ an. Beide Seiten testeten durch empfindliche Hiebe die Schmerzgrenze des „Gegners“ (vgl. Reccius, a. a. O., S. 58 ff.).

 

1645 wurde die mittelalterliche Rolandfigur (vgl. Abschnitt 1170 – 1543) vor dem (neuen) Rathaus in einer Malerrechnung wieder erwähnt. Als sie 1656 total unansehnlich geworden war, erteilte der Rat der Stadt dem Schnitzmeister Gottfried Gigas aus Magdeburg, der 1658/59 auch den barocken Hochaltar in der Stadtkirche St. Stephani (s. oben) gestaltete, den Auftrag, eine hölzerne Rolandfigur zu schaffen. Das im Herbst 1656 angefertigte, 4 Meter hohe Werk wurde vom Rat gekauft,  aufgestellt und alles zu seinem Schutz arrangiert. Sofort gab es Streit zwischen dem Schlossamt und dem Rat der Stadt um die Rechtmäßigkeit der Aufstellung des neuen Rolands. Die Beamten weigerten sich, die Handlungsweise des Rates anzuerkennen, weil sie darin ein erneutes Signal für städtische Autonomiebestrebungen sahen. Erst 1658 kam es zu einem Kompromiss zu Gunsten des Standbildes.

1662 lehnte der Rat das Ansinnen des Schlossamtes ab, dass die Bürger bei der Wildschweinjagd der Schlossbeamten Hilfsdienste leisteten. Auch die Pflasterung der Straßen vor den Toren sei Angelegenheit des Amtes und nicht der Stadt.

1663 wollte der Geleitsmann (= landesherrlicher Zollverwalter) Christoph Deutschbein Bürger in Calbe werden. Er besaß u. a. die einträglichsten Gasthöfe vor den Toren der Stadt, den „Goldenen Stern“ in der Schloss- und den „Goldenen Engel“ in der Bernburger Vorstadt. Die landesherrlichen Zölle und die Konkurrenz durch die gut gehenden Vorstadt-Gasthöfe waren dem Rat ein Dorn im Auge. Als Beamter des Administrators und Angestellter des Schlossamtes sträubte sich Deutschbein dagegen, den Bürgereid zu leisten. Der Rat bestand aber darauf und setzte seinen Willen durch. Der Sohn Christian Friedrich Deutschbein wurde selber Ratsherr und später auch Bürgermeister. Bürger zu werden, war seit 1584 erschwert worden, die Kandidaten mussten nicht nur ein Mahl für die Ratsherren ausrichten, sondern auch eine Bürgschaft und ein Leumundszeugnis beibringen.

1675 gab es Streit wegen eines Schlagbaumes, den der Rat zur Erhebung eines Wegezolles vor dem Brumbyer Tor aufgestellt und den der Geleitsmann Törkler niedergerissen hatte. Der Schlagbaum wurde nach einem Kompromiss mit dem Amt wieder aufgestellt.

1678 maßte sich der Amtmann an, die Rechnungen des Rates zu kontrollieren. Die Ratsherren lehnten das mit der Begründung ab, dass die Kontrolle schon die Sechsmänner vorgenommen hätten.

Als man 1679 die Braut eines Schlossbeamten am Tag vor der Hochzeit mit seidenen Röcken, einer Perlenkette und goldenem Schmuck auf der Straße sah, wurde sie vom Rat wegen Übertretung der Magdeburger Kleiderordnung belangt und verwarnt. Sie war „nur“ die Tochter des verstorbenen Landsteuereinnehmers Wilcke, eines niederen Beamten. Am nächsten Tag war sie die Frau eines Amtsaktuars (Gerichtsschriftführers) und durfte die verbotenen Dinge standesgemäß tragen. Über diese Schikane des Rates beschwerte sich der Bräutigam beim Schlossamtmann.

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts verschwand in Calbe auch die Trennung in ehrliche und unehrliche Berufe (vgl. Abschnitt 1180 -1542). Die Bader wurden als Handwerker anerkannt, wohl wegen ihrer zunehmenden Verdienste als „Volks-Ärzte“. Auch das Aufblühen des Apothekenwesens in Calbe gehört in das 16. und das 17. Jahrhundert. Der Rat selber förderte den Bau von Apotheken. Apotheker erhielten landesherrliche Privilegien, um sich vor der Konkurrenz von Kräuterweibern und „Scharlatanen“ schützen zu können. Das erste nachweisbare Calber Apothekengebäude des Apothekers Blumstengel befand sich 1672 in der Bernburger Straße 94.

1675 gab es einen ersten akademisch ausgebildeten Arzt in Calbe, den Physikus Dr. Keyl, der, wie auch seine Nachfolger die Aufsicht über die anderen medizinischen Berufsgruppen in Calbe, die Apotheker, Bader und Hebammen hatte.

1582 war eine neue Schule gebaut worden, anscheinend an der Stelle der alten (vgl. Abschnitt 1180 – 1542), und im 17. Jahrhundert gab es sogar eine Mädchenschule in Calbe (vgl. Reccius, a. a. O., S. 38, S. 57).

Zwei hallische Fuhrunternehmer richteten 1670 mit Genehmigung der landesherrlichen Regierung einen regelmäßigen Postverkehr auf der Straße zwischen Magdeburg und Halle über Calbe ein, der die Strecke zweimal in der Woche bewältigte. 1671 schloss sich ein weiterer Fuhrunternehmer an, so dass die Strecke nun dreimal in der Woche befahren werden konnte. Befördert wurden Personen, Briefe, Päckchen und Frachtgut (vgl. ebenda, S. 59 f.).

Die Stadt war noch von Stadtmauern mit Toren und Türmen umgeben. Diese wurden erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts abgetragen. Das Schloss war ganz im Sinne des Barock mit vielen Erkern und Türmen versehen worden, die aber in den nächsten hundert Jahren verfielen und unter preußischer Ägide wieder abgetragen wurden.

 

Alte Karten weisen auf ein auch im frühneuzeitlichen Calbe schlecht gelöstes Problem hin: das der Kanalisation und Entwässerung. Abwasser musste entsorgt, aber auch das Wasser aus dem vor der Stadt im Westen liegenden sumpfigen Gebiet des Soolbrunnens abgeleitet werden. Hävecker berichtet, dass sich in den kleinen Gassen furchtbar stinkende Wasserschleusen befanden, eine Quelle für die Seuchen jener Zeit (s. oben). Eine davon hieß die Federpfütze, die heutige Kanalgasse. Dort sei, so erzählte der Chronist Hävecker, schon des öfteren ein Gespenst gesehen worden, das Reitermännchen in Gestalt eines Mannes ohne Kopf.

Die beiden Vorstädte behielten auch weiterhin den Status von Dörfern. Die Schloss-Vorstädter waren bis auf ganz wenige Ausnahmen bettelarm, sie besaßen nur 31 Morgen Ackerland, das vorwiegend der gärtnerischen Selbstverorgung dienen musste. 1660 wurden in den 42 (- in der Mehrzahl -) armseligen Haushalten sieben Kühe, zehn Schafe, zehn Schweine, ein Pferd und einige Hühner gezählt (vgl. Dietrich, Gang, S. 2).

Am Schluss dieses Kapitels können noch einige „Schlagzeilen“ dazu dienen, einen vertiefenden Einblick in das Leben der Calbenser zu jener Zeit zu erhalten (vgl. Reccius, a. a. O., S.38ff.).

Die Saalemühle, die 1561 schon 6 verschiedene Mahlwerke besaß (vgl. Hertel, Geschichte..., S. 214), war unter dem ersten Administrator Joachim Friedrich 1595 (s. oben) neu errichtet worden. Die Stadtkirche St. Stephani erhielt 1561 einen Taufstein und eine Kanzel im Renaissance-Stil, die von dem Aderstedter Baumeister und Steinmetz Urban Hachenberg angefertigt worden waren. Durch schweren Eisgang wurde 1571 die Brücke über die Saale, welche später Banér zerstören ließ, weggerissen. Der Gemüseanbau hauptsächlich von Zwiebeln („Seppeln“, später „Bollen“), Grünkohl und Mohrrüben nahm erheblich zu (1591). Nachdem die alten Flutrinnen, auch die von Joachim Friedrich 1595 geschaffene, schnell wieder versandeten, scheint die 1605 gebaute Schleusenanlage besser konstruiert gewesen zu sein, denn sie funktionierte im wesentlichen bis zum Ende des Jahrhunderts. Fremde Fuhrleute versuchten die Wegezölle zu umgehen und legten Umgehungs-Fahrwege jenseits der Westmauer an (1652), aus denen später die Magdeburger und die Arnstedt-Straße entstanden. Erwischte Sünder wurden zu erheblichen Strafen verurteilt, befreundete Fuhrmänner aus Nachbarstädten kamen jedoch manchmal mit milden Bußgeldern davon. Dem Ratsherren (Kämmerer) Arnold Steinhaus(en) gelang 1655 das Brauen des danach in Calbe sehr beliebten Breyhans, eines Starkbieres, nach einem alten hannoverschen Rezept von 1526; Patentschutz gab es noch nicht. Der Glöckner der Stadtkirche wurde fristlos entlassen, weil er im „Goldenen Stern“ mit dem Henker, mit dem noch im 17. Jahrhundert nach alter Sitte niemand verkehren durfte, Bruderschaft getrunken hatte (1662). Ärmere Bürger verkauften immer häufiger an reichere ihr Braurecht, was mehr und mehr zur Monopolisierung führte (seit 1665). Zu Ostern 1676 feierten junge Leute aus der Stadt zusammen mit Soldaten auf der Wunderburg ein uraltes Erweckungsfest (vgl. Abschnitt Um 2000 v. Chr. bis 9. Jahrhundert n. Chr.). Das war wahrscheinlich das letzte Mal, denn die Teilnehmer wurden bestraft, der anführende Schneidermeister zu einer sehr hohen Geldstrafe verurteilt und dergleichen Rituale streng verboten. Während die katholische Kirche jahrhundertelang diesen alten Volksbrauch sogar gefördert hatte, untersagte der protestantische Pietismus solchen „Aberglauben“. 1679 richtete ein Großfeuer in der Bernburger Vorstadt großen Schaden an.

Copyright: Dieter H. Steinmetz

 

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