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Max Sidow: "Haß"

(s. auch: Page 21 "Bernburger Straße" in: http://members.fortunecity.de/steinmetz41)

 

Der aus Calbe stammende Germanist und Schriftsteller Dr. phil. Max Sidow hat 1927 den Fischern von Calbe ein bleibendes literarisches Denkmal gesetzt.

Max Sidow (1897 – 1965), der in Calbe geboren wurde und später in Hamburg lebte, machte sich hauptsächlich als Lyriker und Essayist einen Namen, veröffentlichte aber auch Kurzprosa. 1927 erschien von ihm bei Reclam ein Band mit fünf Novellen, deren längste und auch eindrucksvollste den Titel „Hass“ trägt.
Das Hauptmotiv der nach der Diktion der Meister des 19. Jahrhunderts gestalteten Novelle ist das Scheitern zweier Liebender an der - mehr einseitigen - unversöhnlichen Zwietracht der beiden Herkunfts-Familien. Gottfried Kellers „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ hatte wohl ein wenig im Hintergrund Pate gestanden.
Max Sidows Sprachgestaltung und der episch-dramatische Aufbau des Werkes erinnern an die Paradigmen der Stormschen und Kellerschen Novellen.
Als geschichtlich-soziale Szenerie wählte der Schriftsteller das Calbesche Fischermilieu des 19. Jahrhunderts, wobei er tatsächliche Ereignisse, und zwar aus dem eigenen Verwandtenkreis, in abgewandelter Form zu einer "unerhörten Begebenheit" verdichtete. Um die noch existierenden beteiligten Familien nicht zu brüskieren, benutzte er die urkundlich authentischen Namen bekannter Calbenser vergangener Jahrhunderte. Nur die Figur des Pastors Scheele als gütiger, weiser Schlichter wurde historisch-real übernommen. Nach einer schriftlichen Auskunft von Herrn Hermann Kegel (Celle) an Frau Elke Steinhausen aus Schwerin (Brief vom 12.4.2003) dienten für die drei Raphuhn-Brüder der Novelle der 1858 dreizehnjährig an Hirnhautentzündung verstorbene Heinrich Friedrich David, der 1850 im Alter von 16 Jahren ertrunkene Gottlieb Friedrich und der spätere Fischermeister Wilhelm August Daniel Kegel (1849-1917) als Vorbilder. Der Schriftsteller war ein Enkel des letztgenannten. Max Sidows Mutter, die 1875 geborene Martha Luise Kegel (gestorben 1946), heiratete – wahrscheinlich 1896 – Hans Sidow aus Zeitz.
Dass die Handlung jedoch zum großen Teil eine Fiktion des Schriftstellers ist, kann man schon an den völlig „unpassenden“ Lebens-Daten der Vorbilder zu denen der Novellen-Protagonisten ersehen.

 

Hier eine kleine Übersicht über den Inhalt der Novelle:

 

Das Werk beginnt mit der Vorstellung des Ereignisses, das den sich steigernden Hass auslöste.

„In C., einem an der Saale gelegenen Landstädtchen, kam im Jahre 1830 der dreizehnjährige Sohn des Fischermeisters Zacharias Raphuhn auf sehr merkwürdige Weise ums Leben. Melchior, so hieß der Junge, hatte sich in der Schule, während der Rechenstunde, ungebührlich laut mit seinen Nachbarn unterhalten, war daraufhin von dem Lehrer aufgerufen worden und hatte, als er auf die an ihn gestellte Frage keine Antwort wusste, vor die Klasse treten müssen, um an der Wandtafel die Aufgabe vorzurechnen. Doch auch hier vermochte er das keineswegs schwierige Exempel nicht zu bewältigen. Noch verwirrt von dem unerwarteten Anruf, nicht fähig seine Gedanken zu sammeln und seinen schwerfälligen Geist zu einer ihn überraschenden Wendung zu zwingen, schrieb er zwar mit ungelenker Hand die Zahlen der Aufgabe an das schwarze Brett, als es jedoch an die Lösung gehen sollte, begann er umständlich zu stottern und schwieg endlich verstört. Der Lehrer, Konrektor Kalow, über die Unaufmerksamkeit und, wie er meinte, Dummheit des Schülers aufgebracht, trat an ihn heran und versuchte durch unsanfte Rippenstöße den Unbeholfenen anzuspornen. Da aber die erwünschte Wirkung ausblieb, und der Junge plötzlich in trotziger Auflehnung das Kreidestück hinlegte und sich die von den aufmunternden Püffen misshandelte Seite rieb, verlor der leicht erregbare Pädagog die Beherrschung. In einem Anfall von Wut packte er Melchior am Kragen und stieß dessen Kopf mehrere Male sehr heftig gegen die Wandtafel. Diese Züchtigung begleitete er mit Worten wie etwa: >>Ich werde dir schon helfen … Mit deinen Nachbarn kannst du reden und hier vorn spielst du die dumme Jule! Da – dein Dummkopf muß erst durcheinander geschüttelt werden, damit die Dummheit herausfällt. Man muß dich mit der Nase daraufstoßen, eher begreifst du es nicht.<< Melchior ertrug diese strafende Gewalt ohne einen Laut auszustoßen, aber als ihn der Konrektor dann losließ, begann er zu taumeln, röchelte, als müsste seine Lunge sich mühsam den Atem erkämpfen, und sank schließlich um.“ (Sidow, Max, Haß, a. a. O., S. 7f.)
Der erschrockene Lehrer lässt den Jungen, als sich auch noch Erbrechen einstellt, nach Hause bringen. Ein herbei gerufener Arzt, der eine schwere Gehirnerschütterung feststellt, vermag keine Hilfe zu bringen. Als der schuldbewusste Konrektor den verunglückten Jungen besuchen will, ist dieser bereits tot, und der vor Zorn „völlig verwilderte Vater“ jagt den Lehrer davon.
„Dieser Vorfall, der in der kleinen Stadt beträchtliches Aufsehen hervorrief, begründete den Haß der Familie Raphuhn auf den Konrektor, einen Haß, der viele Jahre in unverminderter Heftigkeit anhielt und noch durch den Umstand vermehrt wurde, dass die Tat des unbeherrschten Erziehers keine entsprechende Sühne fand.“ (Ebenda, S. 9)
In der Folgezeit findet ein Kleinkrieg Zacharias Raphuhns gegen den Konrektor statt, der auch einer gewissen Komik nicht entbehrt. So verbietet der Fischermeister seinen Genossenschafts-Kollegen, dem Feind die begehrten Lachse zu verkaufen. Als sich Kalow die Fische vom Saalemüller beschafft, lacht die ganze Stadt über den verhinderten Boykottierer. Natürlich rächt sich die Fischergemeinschaft am Saalemüller, indem sie sich im Winter weigert, die Mühlengerinne vom Eis zu befreien.
Inzwischen wachsen die zwei verbliebenen Raphuhn-Söhne heran, „die sich in Charakter und Lebensauffassung außerordentlich voneinander unterschieden“, der starrsinnige, verschlossene, schwerfällige und unflexible Heinrich und der 5 Jahre jüngere Friedrich (Fritz), ein heiterer, freundlicher, empfindsamer und aufgeschlossener Bursche mit regem Geist. Nach dem Tod Melchiors wird der noch schulpflichtige Fritz aus der Schule Kalows genommen und zu Pfarrer Scheele geschickt, der einige Schüler auf das Gymnasium vorbereitet. Als der wendige Junge dort zu den besten Zöglingen gehört, wünscht Scheele, dass Fritz die „höhere Schule“ in Magdeburg besucht. Der Vater lehnt das jedoch schroff ab. Fritz muss bei dem Vorsteher der Fischereigenossenschaft „St. Nicolai“ Klaus Ristorp in die Lehre gehen und wird bei diesem Teilfahrer, später unter seinem Vater und Bruder Fischerknecht. Anfänglich sieht es so aus, als wäre der Hass des Vaters auf beide Söhne übergegangen, denn auch Fritz spielt dem Konrektor, der nicht mehr sein Lehrer ist, manchen bösen Streich. Aber mit zunehmender Reife lehnt er das fade Gefühl als primitiv ab. Dafür steigert sich Heinrich um so mehr in die Feindseligkeit und übertrifft darin bald sogar seinen Vater. Der ältere Bruder verlobt sich mit Marie Klein, der klugen, sensiblen und heiteren Tochter eines Ackerbürgers. Schon als Kinder haben die Fischerknaben Heinrich und Fritz mit zwei Stadtmädchen am Saalestrand auf dem so genannten Fischereianger gespielt, mit eben jener Marie und ihrer Freundin Luise, der Tochter des Konrektors. Als Sechsjähriger hat Fritz einmal der vierjährigen Lehrertochter das Leben gerettet.
Die Kalows haben ihr Haus an der Saalemauer innerhalb der Stadt, wo die wie Schwalbennester über der Saale hängenden Erker auch Klein Venedig genannt werden, unmittelbar am südlichen Stadttor. Das neu erbaute stattliche Haus der Raphuhns, das von dem bescheidenen Wohlstand des Fischermeisters zeugt, steht in der so genannten Bernburger Vorstadt an der Chaussee (heute: Bernburger Straße Nr. 19) fast gegenüber der schmalen Gasse „Kleine Fischerei“.
Zufällig sieht der 21jährige Friedrich nach mehr als einem Jahrzehnt die 19jährige Luise Kalow bei seiner künftigen Schwägerin wieder. Die „sanfte Schönheit“ und Fritz, der Liebling der Calbeschen Mädchen, verlieben sich ineinander. Natürlich müssen sie sich in der folgenden Zeit in aller Heimlichkeit treffen.
Als Vater Zacharias das Paar in der Kirchgasse beim heimlichen Plausch erwischt, ist er so schockiert, dass er Fritz beinahe erwürgt. Bald darauf sieht der alte Raphuhn beim Arbeitseinsatz der Fischer auf dem Mönchheger gegenüber Klein Venedig, wie Fritz die am Fenster stehende Luise zärtlich grüßt. Er hebt, außer sich vor Wut, das schwere Ruderblatt und ist drauf und dran, den Sohn zu erschlagen. Der Anblick des Sohnes, der ruhig und mit tief traurigem Blick den tödlichen Schlag erwartet, lässt den Vater erstarren.
Seitdem verfällt Zacharias Raphuhn zusehends, und die Mutter verkümmert vor Gram.
Nach dem Tod des alten Raphuhn übernimmt Heinrich seine Meister-Position in der Sechser-Gemeinschaft, und Fritz wird sein Knecht.
Ein Jahr später heiratet Heinrich seine Verlobte. Durch diese Ehe scheint der ältere Bruder etwas aufgeschlossener und heiterer zu werden. Seine Zwangsvorstellung, der Erbe und Bewahrer des alten Familien-Hasses zu sein, bleibt jedoch. Versöhnungsversuche Maries enden mit einem heftigen Wutausbruch des neuen Sippenoberhauptes. Als Heinrich, dem Gespött der Leute zum Trotz, seinem Bruder Fritz immer intensiver nachspioniert, wendet dieser sich in seiner Not an den alten verehrten Lehrer Scheele und erbittet Rat und Hilfe. Pfarrer Scheele versucht sowohl Heinrich Raphuhn als auch Lehrer Kalow in vertraulichen Gesprächen zu Versöhnungsschritten zu bewegen – vergeblich. Der 22jährige Fritz bittet sogar einseitig den Lehrer, der seinen Bruder auf dem Gewissen hat, um Verzeihung für den ihm von seiner Familie zugefügten Schaden. Kühl und „mit fast höhnischer Miene“, von oben herab nimmt Kalow die Entschuldigung entgegen.
Fritz erwägt, aus dem Machtbereich des älteren Bruders wegzukommen und woanders eine neue Existenz aufzubauen.
Schwägerin Marie, die sich aufopfernd für die beiden Liebenden einsetzt, kann ihre eigene immer stärker werdende Zuneigung zu Fritz kaum verheimlichen.

Der strenge und lange anhaltende Winter 1844/45 (s. Tabelle oben) bildet den historisch-realen Hintergrund für den zweiten Teil der Novelle, in dem sich die Handlung zuspitzt und auf die – allerdings katastrophale - Lösung des Konfliktes zu steuert.
Nach altem Brauch müssen die Calbeschen Fischer bei starkem Frost das Wehr und die Mühlengerinne eisfrei halten. Für die harte und lebensgefährliche Arbeit bedankt sich der Saale-Müller traditionell mit einem Festgelage. Bei diesem „Fastnachtschmaus“ behauptet ein angetrunkener Fischer, Friedrich Raphuhn und Luise Kalow am Mägdesprung, einem erhöhten Saaleufer im Norden vor der Stadt, gesehen zu haben. Tatsächlich haben sich die beiden Liebenden schon seit einiger Zeit diesen ca. 2 Kilometer vor dem Stadtkern liegenden, verschwiegenen Platz für ihre heimlichen Treffen ausgewählt. Die Situation ist für Fritz äußerst bedrohlich; diesmal ist es nicht der Vater, sondern der berauschte Bruder, der ihn mit einem großen Bierseidel zu erschlagen droht. Erst die ruhige Bemerkung des alten Ristorp, das sei nicht Fritz, sondern der junge Lehrer Schröder gewesen, der um Luise seit einiger Zeit werbe, lässt die Lage sich entspannen.
Die beruhigenden Worte des Vorstehers haben zwar dem jungen Protagonisten das Leben gerettet, zugleich aber den Keim des Zweifels und der Eifersucht in seine Seele gepflanzt. Fieberhaft sucht er eine Unterredung mit Luise. Diese gesteht ihm, dass Lehrer Schröder ihr zwar den Hof mache und ihr Vater sie zu einer standesgemäßen Verlobung dränge, sie aber strikt abgelehnt habe. Luise versichert Fritz, dass sie nur ihn liebe, macht ihm aber auch klar, dass aus einer Ehe nur etwas werden könne, wenn er eine eigene wirtschaftliche Existenz gegründet habe, denn zur Zeit sei er nichts anderes als der Knecht seines Bruders. Es dauert einige Zeit, bis Friedrich erkennt, dass ihn, den einst Tatkräftigen und Unternehmungslustigen „ der Haß des Vaters und des Bruders… zur Schwermut, zur Untätigkeit und Mutlosigkeit verwandelt“ hat, „so daß er seiner selbst nicht mehr sicher war und an kein Gelingen glauben konnte. Endlich aber vermochte er die stummen Vorwürfe im Auge der Geliebten nicht mehr zu ertragen, er mußte sich aufraffen, zur Sicherung seiner Zukunft und seines Glückes Schritte unternehmen, so wenig er sich auch davon versprach.“ (Ebenda, S. 79)
In der ersten Märzwoche fährt also Fritz mit dem Schlitten nach Tornitz, einem Dörfchen ca. 6 km nordöstlich vor Calbe, wo sein sparsamer Onkel Thomas Waade mit seiner Frau auf einem kleinen, aber einträglichen Bauerngut lebt. Das Paar, das in der Verwandtschaft als etwas sonderbar gilt, entpuppt sich als warmherzig und aufgeschlossen. Als Fritz davon spricht, sich von seinem Bruder zu trennen und eine eigene Existenz zu gründen, findet er die Zustimmung des alternden Bauernpaares. Nach dem Mittagessen ziehen sich Onkel und Tante längere Zeit zurück. Danach eröffnen sie ihm umständlich mit ernsten, feierlich-bewegten Mienen, dass sie soeben beschlossen hätten, ihren Neffen, da sie kinderlos seien, zu sich zu nehmen. Später könne Fritz dann den Hof überschrieben bekommen. So könne auch ihre eigene Zukunft gesichert werden. Die beiden alten Leute sind stark berührt von der Freude ihres Patensohnes, „die ihn so augenscheinlich verwandelt hatte… Als Friedrich gegen Abend das Pferd anspannte und zurückfuhr, dünkte er sich der glücklichste Mensch auf der Erde zu sein.“ (Ebenda, S. 84 f.)
Nun stehen einem glücklichen Ausgang noch der auf eine gute Partie bedachte Vater Luises und der unberechenbare Hass Heinrichs im Wege. Fritz weiht zwar die Mutter ein, ein klärendes Gespräch mit dem jähzornigen Bruder verschiebt er aber auch weiterhin. Eine nächtliche Vision anlässlich eines seltenen Naturschauspiels, eines von Zirruswolken hervorgerufenen, szintillierenden dreifachen Mondes, lässt Friedrich die nahende Entscheidung in der nächsten Zeit erfühlen.
Gegen Ende des Monats März lässt der strenge Frost nach, Sturm und Regen setzen ein. „In der Nacht vom 26. zum 27. März 1845 (s. Tabelle oben) dröhnte die Saaleniederung wie von Kanoneschüssen. Das Eis barst, aber noch hielt es sich in der Fläche, nur da und dort klafften tiefe Risse in der durchsichtiger werdenden weißlich-grauen Decke, als hätten gewaltige Scheren sie wie Pergament durchschnitten, oder rasch zerstörende Blitze hätten ihre Bahn im Zickzack hinterlassen.“ (Ebenda, S. 90 f.)
Die Fischer haben in dieser gefährlichen Situation zur Rettung der Mühle und des Wehres Großeinsatz, die Arbeit soll aber bald darauf wegen der ständig wachsenden Gefahren für die Fischer eingestellt werden. Am Nachmittag des 27. März kommt Marie aufgeregt zu Fritz gelaufen, Luise sei ihr sehr blass und ernst begegnet und warte versteckt auf dem Friedhof, um dringend mit Fritz zu sprechen. Bei der Unterredung mit der Geliebten stellt sich heraus, dass Lehrer Schröder um ihre Hand angehalten hat und die Zeit in Richtung einer Entscheidung drängt. Fritz bittet Luise, noch einmal den Vater um ihres Glückes willen anzuflehen, einer Verlobung der beiden nicht im Wege zu stehen.
Unterdessen ist der Saalemüller verzweifelt dabei, noch einmal alle Fischer zum Einsatz zu bewegen, die Mühle und das Wehr sind in akuter Gefahr. Ristorp kommt zu Heinrich und bittet ihn, zusammen mit Fritz zu Hilfe zu eilen. Es drängt. Während der junge Meister seinen Bruder und Gehilfen sucht, ruft ihn mehrmals eine innere Stimme, die er für die warnende Stimme seines Vaters vom Friedhof hält und die ihn völlig verwirrt. Endlich erreicht er Fritz am Friedhofseingang, als dieser gefasst und zuversichtlich nach dem Gespräch zusammen mit Luise und Marie den Gottesacker verlässt, - aber die gefürchtete Katastrophe bleibt aus. Der ältere Bruder, noch verwirrt von der Stimme, reagiert wie in Trance und wirkt abwesend. Auch bei der gefährlichen Arbeit auf dem tauenden und sich spaltenden Eis wundern sich die Fischer über seine ungewöhnliche Teilnahmslosigkeit. Und als Heinrich sieht, wie Luise und Fritz sich zwischen Fenster und Eis heimlich zuwinken, bleibt er immer noch gefasst und hält sich wie in einem schweren inneren Kampf zurück. Fritz verspürt das dringende Bedürfnis, ihm dafür zu danken und ihm etwas Liebes zu sagen.
Mit dem immer stärker einsetzenden Eisbruch erklären die Fischermeister ihre Arbeit für beendet. Während sie schon ihre Geräte aufnehmen und in Richtung Fischerei-Ufer gehen wollen, kommt ein kleiner Junge von der Saalemauer über das Eis mit einem Zettel in der Hand auf Fritz Raphuhn zu gelaufen. Nach dem Überfliegen der Nachricht erhellt sich das Gesicht des jüngeren Bruders zu einem Strahlen. Auf dem Papier steht die Nachricht von Luise, dass ihr Vater schweren Herzens seiner Tochter zuliebe mit einer Heirat der beiden Liebenden einverstanden ist. Freudig will Fritz auf den Bruder mit ausgestreckter Hand zu gehen, „da stand schon Heinrich mit geschwungener Hacke vor seinem Bruder, wutroten Gesichts, brüllend wie ein verwundetes Tier, und schrie: >>Wer hat dir den Brief geschickt?<< Erblaßt wich Friedrich vor dem Rasenden bis zum äußersten Rande der Eisfläche zurück, aber furchtlos und mit blitzenden Augen sah er ihn an und erwiderte mit der leisen Stimme großer Erregtheit: >>Meine Braut, Luise Kalow.<< Einen Herzschlag war es, als wollte Heinrich die schwere Spitzhacke auf den Bruder niedersausen lassen, aber bevor noch der Schlag herabzucken konnte, waren ihm schon die umstehenden Fischer in den Arm gefallen, hielten den wild sich Wehrenden fest, so daß er sich nicht frei machen konnte, und redeten ihm zu wie einem Fieberkranken, der die Arznei verweigert.
Der alte Ristorp trat zwischen die Brüder, wie schon damals beim Fastnachtessen, versuchte Frieden zu stiften und bat den Jüngeren, nach Hause zu gehen, um für den Augenblick wenigstens dem peinlichen Auftritt ein Ende zu machen. Aber Friedrich hörte nicht auf ihn, streckte die Hand nach Heinrich aus, als könnte allein diese rührende Gebärde schon den vor Zorn toll Gewordenen versöhnen, und flehte mit Tränen in den Augen: >>Laß mich doch glücklich werden, wie du selbst glücklich bist. Ist denn Liebe ein Verbrechen? Ich bin doch dein Bruder!<<
Der Wütende schrie laut: >>Du bist nicht mein Bruder! Ich habe keinen Bruder!<< und wand und warf sich unter den Fäusten der ihn haltenden Fischer…Plötzlich fühlten die Kämpfenden, wie Wasser um ihre Knöchel rauschte, das Eis senkte sich unter ihnen und schnellte dann mit heftigem Ruck wie ein federndes Brett zurück… Da aber gellte ein furchtbarer Schrei aus Heinrichs Munde, und entsetzt sahen sie, wie eine große Scholle sich von der Fläche gelöst hatte, und von der Strömung bereits erfaßt, mit großer Geschwindigkeit dem Wehr zutrieb. Auf ihr stand Friedrich, noch immer bittend die Arme nach dem Bruder ausstreckend, als hätte er die Gefahr, in der er schwebte, noch nicht bemerkt“ (Ebenda, S. 116 ff.)
Zu spät entdeckt Fritz die tödliche Bedrohung. Als er von der Scholle abspringt, wird er in den nächsten Sekunden über die schon eisfreie Wehrkrone gespült und unter die sich stapelnden Eisstücke gedrückt. Luise, die von ihrem Fenster aus das Entsetzliche mit ansehen muss, hilft bei der sofort einsetzenden Suche nach dem Verunglückten mit.

Noch wochenlang, auch während des einsetzenden gewaltigen Hochwassers (s. Tabelle in "Die Fischer von Calbe") und der nachfolgenden Frühjahrsbestellung, sucht Heinrich wie von Sinnen nach der Leiche seines Bruders. Luise stirbt zwar nicht an der schweren Lungenentzündung, die sie sich in der nasskalten, stürmischen Unglücksnacht zugezogen hat, sie verfällt aber sichtlich. Ihre einstige Schönheit ist dahin, ihr Gesicht von Krankheit und Trauer entstellt. Marie, die des geliebten Schwagers oft unter Tränen gedenkt, entfremdet sich von ihrem Mann. „Sie lebte erst wieder auf, als sie nach einem halben Jahre eines Knaben genas, der in der Taufe den Namen Friedrich empfing und der, je mehr er heranwuchs, seinem auf so unselige Art verunglückten Onkel immer ähnlicher wurde.“ (Ebenda, S. 123)
Am Tag nach Pfingsten wird einige Kilometer saaleabwärts von Kindern und auf dem Feld arbeitenden Bauern die entsetzlich entstellte Wasserleiche Friedrichs in einer mit Weiden bestandenen Bucht gefunden. Der apathisch und teilnahmslos wirkende Heinrich Raphuhn bringt die Überreste seines jüngeren Bruders unter Aufbringung seiner letzten seelischen Kräfte im Kahn nach Hause. Die Mutter wird beim Eintreffen ihres toten Sohnes ohnmächtig und muss fortan das Bett hüten. Nach einigen Monaten stirbt sie.
„Am selben Abend noch wurden die Überreste des Ertrunkenen neben den Gräbern seines Vaters und Bruders beigesetzt.
Konrektor Kalow war bei der Beerdigung zugegen. An der offenen Gruft reichte er dem Bruder des Toten die Hand zur Versöhnung, die dieser bewegt ergriff.“ (Ebenda, S. 125)

 

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