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Copyright: Dieter H. Steinmetz

 

Die Fischer von Calbe

(s. auch: Page 21 "Bernburger Straße" in: http://members.fortunecity.de/steinmetz41)

 

In der Großen und Kleinen Fischerei (heute Straßennamen) vor den ehemaligen Stadtmauern hatten Slawen (Wenden) ihren Wohnsitz. Sie galten als den Calber Einwohnern nicht ebenbürtig und waren Leibeigene und Hörige der deutschen Adels-Herren.

Das Wort "Slawe" ist im Mittelhochdeutschen identisch mit dem Wort Sklave = Leibeigener (vgl. auch Wortbedeutung im Englischen).

Besonders am unteren Ende der heutigen Kleinen und Großen Fischerei wohnten die (ursprünglich slawischen) Fischer. Wendisch-slawische Einwohner der Vorstadt durften nicht Bürger und Zunftmitglieder werden, deshalb konzentrierten sich diese Ausgegrenzten, ähnlich wie sich die jüdischen Mitbewohner auf Klein- und Geldhandel spezialisierten, auf Fischfang, Gartenbau und Kleintierhaltung ("Hühnerdörfer"). Allmählich verschmolzen deutsche und wendische Bevölkerungsanteile, aber die feudale Abhängigkeit der Fischer blieb, und erst 1858 wurden Überreste dieser Hörigkeit abgeschafft (s. unten). Die immer nur von Bewohnern der Bernburger Vorstadt betriebene Fischerei vor Calbe geht, so weit die Quellen reichen, auf Familien mit deutschen Namen zurück. 1366 hatten die Fischer von Erzbischof Dietrich Kagelwit (Regierung 1361 - 67), dem großen Förderer Calbes, das Lehen erhalten, Fischfang auf der Saale zu treiben (vgl. Hertel, Geschichte... , S. 247 f.). Dafür hatten sie unter anderem einen Lachs für den Erzbischof als Lehenszins zu entrichten. Aber auch der Rat der Stadt war Abnehmer der Saale-Fischreichtümer, die sie bei den Fischern kauften. "1381 schenkte der Rat dem Erzbischof einen Karpfen für viereinhalb Schilling und bald darauf eine Lamprete [Neunauge - D. H. St.]. Erzbischof Peter erhielt 1376 einen Wels, Nicolaus von Bismarck [ein Vorfahr des "Eisernen Kanzlers" - D. H. St.] 1391 einen Lachs und derselbe und der Graf von Barby erhalten 1381 zur Hochzeit Bier und Fische zum Geschenk." (Ebenda, S. 248)

 

Blick von der Kleinen Fischerei über die Saale zum historischen Stadtkern

Der Fischreichtum der Saale in der damaligen Zeit ist für uns Heutige kaum zu fassen.

Außer den Welsen, Neunaugen, Brassen, Barschen, Gründlingen und Seebarschen waren es vor allem die Lachse und Störe, die den Ruhm der Saale-Fischerei begründeten. Hävecker schrieb, es habe "Gott der Herr zu Zeiten die Saale dergestalt mit Lächsen gesegnet, daß man, besage der Rechnungen de Anno 1652 in die 1063. eingebracht und berechnet." (Hävecker, S. 85). Zuerst mussten die Fischer ihren Fang dem Schloss-Amt (in Nachfolge des Erzbischofs), danach dem Rat (Magistrat) und den Bürgern anbieten (s. unten). Den Verkauf leiteten besondere Beauftragte für den Fischhandel, die Fischmeister. Diese (wie z. B. 1593 Johann Rude und Thomas Rephaun) hatten aber nichts mit den Fischern zu tun, denn sie waren im Unterschied zu diesen Bürger der Stadt (vgl. Hertel, S. 148. Der Begriff "Fischer-" oder "Fischmeister" darf uns also nicht irritieren, einmal waren damit die städtischen Fischhandelsbeautragten und andererseits die vorstädtischen Fischer-Handwerker gemeint. Wie Hävecker berichtete, war der Lachs-Überfluss in einigen Sommern so groß, dass sie spottbillig waren und dem Gesinde täglich als Speise vorgesetzt wurden, weshalb es Proteste der Knechte und Mägde gab. Sie baten darum, "die Woche nicht mehr als zweimal Lachs zu essen." (Hävecker, ebenda, angepasste Rechtschreibung).  Es war auch ein guter Brauch, dass der erste Lachs und der erste Stör den Armen im Hospital gebührte. Als man diese Edelfische durch ein Kalb ersetzen wollte, sei der Segen der Gabe verloren gegangen und man beließ es schnell wieder beim alten Brauch (vgl. Hävecker, ebenda).

Im Hochmittelalter war ein Differenzierungsprozess innerhalb der Fischerschaft vor sich gegangen. Die Großmeister (Garnherren) fischten mit großen Netzen in den besten Fangzonen, während die einfachen Fischer mit "kleinem Zeug" das abfischen mussten, was übrig blieb. Sie nannte man "Kleinzauer". 1632 führten die Garnherren beim Amt Beschwerde darüber, dass die "Kleinzauer zu Ungebühr bis nach Rosenburg und Trabitz fischten, so lange die Saale noch nicht ganz zugefroren sei." (Reccius, S. 49).

Als Hörige waren die Fischer auch zu anderen Diensten verpflichtet. Sie waren für die Instandhaltung der Hochwasser-Schutzdämme, des Wehres (auch Damm genannt), die Beseitigung der flussnahen Hochwasser- und Eisschäden sowie die Beobachtung des Wasserstandes und der Eisbewegungen verantwortlich (vgl. unten). Außerdem hatten sie für den Schutz der Brücken Vorsorge zu treffen. Durch die, teils mit gewaltigen Schäden, immer wieder kehrenden Hochwasser gab es auch für die Fischer viel zu tun. In einer Eingabe an den König Friedrich II. vom 16. März 1775 wegen einer Salweiden-Anpflanzung wird vom "fast alle Jahr" entstehenden Hochwasser und dem "starken Eisgang des Saalstromes" geschrieben( vgl. Hertel, S. 189).

 

Blick in die Kleine Fischerei (links die Saale)

 

Hier eine Auflistung der urkundlich feststellbaren Saale-Katastrophen nach Hertel, S. 189 ff., Notizen M. Dietrichs, abgedruckt bei Hertel, S. 190f., Hävecker, S. 98 und Reccius, S. 72 ff., Dietrich, Calbenser Ruhestätten, S. 24 (genaue Titel s. Literaturangaben):

 

1499

steht das Wasser laut einer alten Marke bis zur Hälfte im Wassertor.

1551

 Extremes Hochwasser, die Pest herrscht.

1565

großes Hochwasser (laut alter Marke in Gottesgnaden an der Klostergarten-Mauer).

1566

(14. Februar) Hochwasser, Unwetter; Damm gerissen, Felder überschwemmt.

1571

riss ein "großes Wasser" die Calber Brücke weg, die wieder aufgebaut wurde und bis zur Vernichtung durch Baner existierte.

1585

Überschwemmungen, die sich aber günstig auf den Graswuchs auf dem Thie auswirkten.

1633

(Juni) bebaute Felder überschwemmt.

1653

(Juni) bebaute Felder überschwemmt.

1726

Wasser und Eis beschädigen den Schutz-Damm bei Schwarz und die Forstgebäude der "Heydereutherei" so stark, dass die Fähre und der Busch bleibend gefährdet sind. Deshalb werden Buhnen angelegt.

1729

(Februar) Hochwasser, das besonders die Schlossvorstadt bedrohte. Es wurden Dämme aufgeschüttet.

1731

Thie so stark überflutet, dass dort der Durchbruch eines neuen Saale-Bettes drohte, wodurch die Mühle trocken gelegt worden wäre. Brücken zwischen Patzetz und Lodderitz auf der Straße nach Aken zerstört.

1748

(November) "groß Wasser, das 8 Wochen dauerte." Die Bäcker konnten nicht mehr backen, die Menschen hungerten vor Weihnachten. "Es wurden viele Dörfer unter Wasser gesetzt und überall war viel Jammer und Not."

1749

(Juni) Hochwasser, von dem besonders Schwarz und Rosenburg betroffen waren. Ratskämmerer Schnock stürzte  in die Saale und ertrank.

1752

(5./6. August) "schwoll die Saale so an, dass das Wasser an der Mühle bis an das Schlüsselloch stand. Da das Korn im Felde zu Haufen lag, so wurde viel weggeschwemmt, von Halle herunter ist hier für 1000 Taler vorbei geschwommen. Es wurden viele Dörfer überschwemmt. Im Brauhause stand das Wasser im großen Gefäße fast 4 Wochen."

1770

(12./13. April) ellenhoher Schnee, der bis zum 15. April (Ostern) liegen blieb. Danach kam ein Hochwasser, das beide Mühlgraben-Brücken überflutete.

(September) noch einmal große Überschwemmung.

1771

(Juli) großes Hochwasser bis an die Klostergarten-Mauer, Vernichtung der bebauten Felder. "Schreckliches Wasser, welches höher ging als alle Überschwemmungen je zuvor und auch die von 1551 übertraf."

1772

Erneute Überschwemmung, große Teuerung wegen wiederholt vernichteter Ernten. Auf den Feldern blieben große Lachen zurück, in denen Fische schwammen, die auch gefangen und gegessen wurden. Statt Brot musste die Hunger leidende Bevölkerung u. a. Wicken essen. Ein großes Sterben durch eine von Kinderling als "Faulfieber" bezeichnete Seuche grassiert in Calbe und Umgebung. Die Bevölkerungszahl Calbes geht in diesem Sommer von 3100 um 9,7 Prozent auf 2800 zurück.

1775

Große Überschwemmung (Näheres unbekannt)

1778

Große Überschwemmung (Näheres unbekannt)

1780

Große Überschwemmung (Näheres unbekannt)

1781

Große Überschwemmung (Näheres unbekannt)

1783

Große Überschwemmung (Näheres unbekannt)

1784

(29. Februar) "hatte sich das Eis am Saalhorn gestopft, am 1. März war das Wasser so groß, daß die Bürgerschaft vor dem Schloßtor dämmen mußte." In Calbe stand das Wasser "bis zum Schlinge" am Kirchhofe (Kirchplatz). In der Schlossstraße stieg das Hochwasser so hoch, dass man das Vieh kaum noch aus den Ställen bringen konnte. Ein am 2. März früh 2 Uhr entstandenes Loch im Schutzdeich      konnte durch unermüdlichen Einsatz der Bürger gestopft werden. An diesem Tag bekam auch "der Damm bei Tornitz einen großen Riß und die Flut ging durch das Barbysche Feld zwischen Glinde und Monplaisir in die Elbe, welche noch mit Eis bedeckt war." Für die schwer geschädigten Menschen in Barby wurden in Calbe am 5. März 200 Brote und 10 Taler gesammelt.

1785

"Große Wassersnot"

1789

"Auf strenge Kälte folgt Hochwasser, unter welchem besonders Schwarz zu leiden hat."

1799

(26. Februar) stand das Wasser in der Querstraße (W.-Loewe-Str.) bis an die Schule. Bei Gritzehne (heute: Calbe-Ost) riss der Damm.

1800

Sehr trockenes Jahr, man kann nach Gottesgnaden hinüber laufen. Am 11. August werden 44 Grad Celsius gemessen, Wind- und Wassermühlen stehen still.

1830

(1. - 4. März) "so großes Wasser, wie sich die ältesten Leute nicht zu erinnern wußten." Am Markt lief das Wasser den Leuten in die Stuben, es stand bis hinter die Mitte der Querstraße (W.-Loewe-Str.), etwa 120 Meter vor dem Brumbyer Tor, Teile der Tuchmacher- und Poststraße (Aug.-Bebel-Str.) wurden überspült. In vielen Schwarzer Häusern flüchteten die Einwohner auf den Dachboden. Die Fischermeister Sonntag, Kunze, Ertel und Kegel retteten sie aus ihrer misslichen Lage und brachten sie in sichere Häuser. Die "Entspannung" kam durch den Dammbruch bei Werkleitz, sonst hätte das Wasser die gesamte tiefer gelegene Calbesche Nordstadt von Ost nach West überflutet. In der Mühle stand es nahe der Oberkante des Geländers, in der Getreidemühle ("Mahlmühle") bis an das Türschloss.

1843

Sommerhochwasser, Sand für Mauer des neuen Friedhofs kann nicht dem Sandhof entnommen werden.

1845

(15. März) herrschen -9 Grad ("minus"). "Die Saale und die Elbe stehen 13 Wochen lang; das Eis ist 23 Zoll [etwa 60 cm] stark. Den 27. März löste sich die Saale." Am 31. März stand das Wasser 11 Fuß [etwa 3 m] über dem Grundzapfen [Normalmaß] und bis Schlossstraße Nr. 3. Bei Barby wurden am 1. April 19 Fuß 1,5 Zoll, in Calbe 11 Fuß 3 Zoll über "Normal" gemessen, am 3. April 19 Fuß 7 Fuß bei Barby. "Das Wasser stand in Calbe 4 Zoll weniger wie 1830, aber der Schade, den es anrichtete, ist in der Umgegend viel bedeutender, als damals."

[2. Juni] "Wieder großes Wasser. Bei Barby 11 Fuß 6 Zoll. Der ganze Thie ist überschwemmt; Schade über das schöne Gras! Alle Tage bis 14. August drei Wochen mußte man zu Kahn nach dem Hohendorfer Busch fahren."

1854

(13. Juli) Wasser in der Mühle fast 2 Meter hoch, Hochwasser auch an Oder, Elbe und Rhein, Ernteschäden.

1858

(Frühjahr) niedrigster Wasserstand seit 42 Jahren, (Juni, Juli) große Dürre, Saale kaum Wasser,

(4. - 6. August) "schrecklich großes Wasser", Busch und Hohendorfer Anger sind überschwemmt, Kartoffelernte nur unter großen Anstrengungen, Getreide verwüstet. 7./8. August fällt das Wasser wieder. "Ein trauriger Anblick! ... So wie hier, so überall und noch schrecklicher an der Elbe, Spree pp."

1893

(18. Juli) niedrigster Wasserstand der Saale seit Menschengedenken, großes Fischsterben.

 

Fischer vor dem Calber Wehr (Ausschnitt aus dem Merianstich von 1560)

 

Die Fischer aus der Bernburger Vorstadt hatten also außer ihrer ertragreichen Haupt-Profession, dem Fischfang, auch viel bei der mit der Saale verbundenen Umwelt-Vorsorge und der Begrenzung von Eisgang- und Hochwasser-Schäden zu tun. Nach Hertel mussten die Fischer "im Mittelalter nach Holz überfahren (1381) und noch später das Vieh nach dem Thie hinüber- und wieder herüberschaffen, ferner mußten sie in allen Dingen, die mit dem Wasser in Beziehung standen, dem Amte zu Gebote sein: sie mußten das Eis auf dem Damme [Wehr] aufhauen (1381 gab die Stadt eine halbe Mark den Fischern dy dat ys braken den winter over vor der molen), wofür sie vom Müller eine Mahlzeit erhielten, sie mußten Ertrunkene aufsuchen, die Tiefe des Wassers untersuchen, die Fähre erleichtern [die Überfahrt mit ihren Kähnen unterstützen - D. H. St.] und dabei auch andere Dienste tun" (Hertel, S. 254), wie es in der vom Administrator August, Herzog von Sachsen-Weißenfels (1614 - 1680) bestätigten "Ordnung und abgefassete Artikul der Fischer St. Nicolai-Brüderschaft zu Calbe" (vgl. unten) von 1669 festgelegt war (vgl. Geschichts-Blätter für Stadt und Land Magdeburg, XXXI, S. 113). Im Frühjahr, meist zu Pfingsten, wurde das Vieh auf den für Calbe ungünstig jenseits der Saale liegenden Thie und im Spätsommer zu Bartholomäi (24. August) oder im Herbst zu Galli (16. Oktober) wieder zurück gebracht, wie alte Rechnungen aus dem 15. Jahrhundert belegen. Am Sonntag nach Ostern war die Weidefläche auf dem Thie mit Pflöcken zugestockt und am Samstag vor Pfingsten eröffnet worden. Da es sich dabei um bewegliche Feste handelte, war auch der Weide-Saisonbeginn unterschiedlich gewesen. Obwohl Brücken und eine Transport-Fähre vorhanden waren, geschah das interessanterweise durch eine Trift, bei der die Tiere in Herden durch den Fluss schwimmen mussten, wobei die Fischer in Kähnen sozusagen als Aufsicht nebenher fuhren. Auch der Rat der Stadt und die Geistlichkeit setzten über. Dabei wurde von Rat und Geistlichkeit je ein Fass auf Kosten der Stadt, das so genannte Kuhbier, vertrunken (vgl. Hertel, S. 199 ff.). Es muss sich wohl um ein volkstümliches Weihe-Fest des Viehs und der Weide mit Prozessions-Charakter gehandelt haben, ähnlich dem süddeutschen Vieh-Alm-Auf- und -Abtrieb. Wahrscheinlich stammte diese Tradition der Viehtrift durch den Strom noch aus alten  Zeiten, als es noch keine Brücken gab. Später jedenfalls ließ man den Schwimm-Brauch fallen und benutzte die Brücken, bzw. nach deren Zerstörung, die Fähre. Das Volksfest der Weideweihe aber wird auch dann noch weiter bestanden haben. Die Vorstädter hatten ursprünglich auf dem Bürger-Thie keine Weideberechtigung. Erst als die Genossenschaft der Fischer auch gegenüber den Städtern einen gewissen sozialen Aufstieg schaffte, etwa zu Beginn der Neuzeit, durften die Vieh besitzenden Familien der Bernburger Vorstadt dieses auch  zahlenmäßig begrenzt (2 Kühe oder 20 Schafe) gegen Entrichtung eines Weidegeldes auf den Thie bringen. Seit dem 17. Jahrhundert ist das belegt (vgl. Hertel, S. 200).

 

Vier der sechs Fischermeister der Nicolai-Brüderschaft, von rechts nach links: David Kegel, Oertel, noch einmal Kegel, Sonntag (nach: Heimatstube-Archiv)

 

Nun war oben schon wiederholt von einer Brüder- oder Genossenschaft der Calber Fischer die Rede.

Was hatte es mit dieser auch für die Konsolidierung und Emanzipation der Vorstadt-Fischer so wichtigen Gemeinschaft auf sich?

Am 20. März 1439 schlossen sich 6 Fischer aus der Bernburger Vorstadt, die Fischer und Fischerknechte Claus Ristorp, Hans Scheffer, Hans und Heine Griptouw (Greifzu), Heine Sachse und Kersten Zimmermann zur "Brüderschaft St. Nicolai" zusammen. Diese bemerkenswerte Vereinigung verdient es, näher betrachtet zu werden, denn sie schaffte es, bis 1945 zu überdauern, obwohl alle älteren kirchlichen Vereinigungen, die noch aus der katholisch-päpstlichen Zeit stammten, während der in Calbe sonst konsequent durchgeführten Reformation geschlossen und verboten wurden. Und diese Brüderschaft war vordergründig eine religiöse Angelegenheit gewesen, die sich dem Patron der Seefahrer, Kaufleute, Apotheker, Bäcker und Kinder, dem heiligen Nicolaus  unterstellt hatte. Die St.-Nicolai-Kirche lag aber innerhalb der Stadt und war in der Zwischenzeit die Kirche des Heilig-Geist-Stiftes geworden. So nannte man sich denn auch die "S. Nicolai-Brüderschaft des armen heiligen Geistes", hatte aber in der Bernburger-Vorstadt-Kirche St. Laurentii einen eigenen geweihten Altar St. Nicolai. Es kann aber auch sein, dass die Fischer sich zuerst um die St.-Nicolai-Kirche von Hohendorf zusammengeschlossen hatten, die trotz der Wüstung des Dorfes noch 1472 mit einem Pfarrer ausgestattet war. Diese Kirche wurde erst um 1650 abgetragen. Die Gründung einer religiösen Gemeinschaft der Fischer mit wirtschaftlichem Hintergrund in einer Zeit, in der nahezu alle Menschen in spirituellen Dimensionen dachten, war ein kluges Unterfangen, das auch in den nächsten Jahrhunderten seine Früchte tragen sollte (s. unten).

In der Urkunde heißt es, dass die Brüderschaftsmitglieder vierteljährlich für alle Menschen, insbesondere für ihre verstorbenen Brüder Seelenmessen lesen lassen wollten. Auch die Frauen der Brüder, Schwestern genannt, waren in diesen Bund einbezogen. Wer als Fischer oder Fischerknecht in die Gemeinschaft eintreten wolle, solle vor dem erzbischöflichen Vogt und den Vorstehern der Brüderschaft geloben, mindestens ein Jahr in der Bernburger Vorstadt zu wohnen. Alle "Mitgliedsbeiträge" bezogen sich auf religiöse Dinge, z. B. waren es Kerzen für die Kirche, Groschen für das Messe-Lesen u. ä. In jedem Jahr wurden zwei Vorsteher gewählt, die dem Pfarrer und den vorherigen Vorstehern Rechenschaft ablegen mussten. Überschüsse der Brüderschaft sollten für die Ausgestaltung der Gottesdienste verwandt werden. Zur Bekräftigung hatten die Urkunde mit ihren Siegeln versehen: Johann Kothdingk, Propst zu Gottesgnaden, Johann Gerdemann, Pfarrer zu Calbe, und der Vogt Dietrich Stupicz.

Siegel des Klosters "Gottes Gnade" mit dem Bild des Heiligen Victor und der Umschrift "Victor dux gloriosus" (Der ruhmreiche Führer Victor) aus der Lade der Nicolai-Brüderschaft, möglicherweise von der nicht mehr vorhandenen Gründungsurkunde von 1439 (mit freundlicher Genehmigung von Herrn Steffen Held aus Hamburg)

Gleich am nächsten Tag, dem 21. März, bestätigte der Magdeburger Erzbischof Günther II., Graf von Schwarzburg (Regierung 1403 - 1445), welcher sich gerade in Gottesgnaden aufhielt, die Fischer-Brüderschaft und verlieh ihnen ausdrücklich das Recht, andere Mitglieder nach eigener Wahl und mit Einverständnis des erzbischöflichen Vogtes in ihren Bund aufzunehmen (vgl. Reccius, S. 25f.). Dieser Erzbischof, der eher durch seine Realpolitik als durch seine Spiritualität auffiel, wusste wahrscheinlich, was es bedeutete, den hörigen Fischern aus einer Dorfgemeinde zu gestatten, eine geistlich verbrämte und durch den Landesherrn geschützte Fischer-Genossenschaft zu gründen. Und die Fischer hatten die günstige Gelegenheit genutzt, ausgerechnet Günther II., der sich auch gerade in Gottesgnaden aufhielt, ihr Gründungsanliegen zu übermitteln. Vom Rat der Stadt ist nach Urkundenlage wohl keine Unterstützung dazu gekommen, man sah in der Brüderschaft eher die Entstehung einer Vorstadt-Innung, und damit einer Konkurrenz. Tatsächlich lief das Ganze auch in diese Richtung. Da die Fischerbrüder das Lehen des Landesherren besaßen, durften sie logischerweise nur in erzbischöflichen Gewässern fischen. Das aber war bei den damaligen feudalen Besitzverhältnissen ein äußerst schwieriges Unterfangen, denn die Lehens-Landkarte war ein bunter Flicken-Teppich. So passierte es immer wieder, dass die Brüderschafts-Fischer in die Gewässer des Grafen von Mühlingen und Barby oder flussaufwärts in die askanischen Fanggebiete gerieten (vgl. Hertel, S. 248 f.).

Blick von der Kleinen Fischerei nach Südosten auf die Saale

Am 16. Juli 1455 gab es einen gerichtlichen Vergleich, der den Fischern des Erzbischofs gestattete, bis zur Elbe auch in Barbyer Gebiet zu fischen, aber schon in einer Bestimmung vom 18. Oktober 1483 wurde das wieder erheblich eingeschränkt. In einem neuen Vertrag vom Februar 1503, diesmal zwischen dem Erzbischof Ernst, Herzog von Sachsen (Regierung 1476-1513), seinem Bruder, dem Kurfürsten Friedrich von Sachsen, und dem Grafen Burchard von Barby wurde festgelegt, dass die Fischer von Calbe mit großem Fanggerät bis zum Krummling (- wahrscheinlich zwischen Trabitz und Werkleitz -), mit kleinem Gerät bis zur Elbe fischen durften. Dafür sollten sie "Dienstfische" abliefern, wofür man sie im Schloss Rosenburg nach altem Brauch mit Brot und Bier bewirten wollte. Aber die Streitigkeiten zwischen der Calber und Barbyer Fischerei hielten weiter an, auch als das ehemalige Grafschaftsgebiet bereits unter kurfürstlich-sächsischer Herrschaft stand. Der Vertrag vom 7. Juni 1667, der die Grenze zwischen Tornitz und Trabitz an einem großen, nicht mehr vorhandenen Rüsterbaum festlegte, wurde von den sechs Calbeschen Fischermeistern Georg Dingel, Hans Zehlung, Martin Huffner, Peter Nedigke, Jacob Kohl und Christian Merck geschlossen. Dingel hatte für die anderen fünf Brüder unterschrieben, da diese nicht des Schreibens kundig waren. Auch saaleaufwärts gab es Zwistigkeiten mit der anhaltinisch-askanischen Herrschaft. In der Ordnung der Fischerbrüderschaft von 1669 wurde daher fixiert, dass die Calbeschen Fischer bis zur Wüstung von Jehser (- kurz vor Nienburg, also rund 1 km weiter südlich von der heutigen Siedlung "Jesar" -), die Nienburger Fischer im Gegenzug bis Wispitz fischen durften. Übertretung dieser Festlegung wurde mit Verlust des Kahnes und des Gerätes ("Zeugs") bestraft (vgl. ebenda, S. 250 ff.).

Seit dem 16. Jahrhundert ist von den "Garnherren" die Rede, womit wohl die sechs Fischermeister gemeint waren. Die geradezu peinliche Einhaltung der Zahl 6 hatte wohl mythisch-religiöse Hintergründe (- das Doppelte von 3 und die Hälfte von 12 -). Durch die Erblichkeit des Lehens blieben die Fischermeister-Familien über Jahrhunderte hinweg oft die gleichen. Die Gesellen hießen nicht mehr "Knechte" wie am Ausgang des Mittelalters, sondern wurden "Teilfahrer" genannt, weil sie für einen geringeren Teil des Ertrages mitfuhren. Jetzt wurde auch konsequent der Schritt von der Brüderschaft zur Innung getan. Am 13. Januar 1593 beschlossen die Garnherren, aus ihrer Mitte einen Obermeister zu wählen. (- Es soll aber einen noch älteren diesbezüglichen Beschluss gegeben haben -). Seit dem 26. 1. 1600 mischte auch schon der Rat der Stadt fleißig mit:

Die Fischermeister schlugen zwei Obermeister-Kandidaten vor, von denen der Rat einen auswählte, "jedoch, wenn sichs schicken will, nimmt man sie einen nach dem anderen". Wiederum schlugen die 6 Meister aus der Mitte der städtischen Ratsherren zwei Kandidaten für das Amt des Fischmeisters vor, von denen der Rat ebenfalls einen nach seinem Gutdünken auswählte. Der vorstädtische Obermeister galt dabei nur als Zugeordneter des patrizischen Fischmeisters (vgl. ebenda, S 252). Damit gab es zwei Aufsichtsführende, den Fischmeister (städtisch) und den Fischer-Obermeister (vorstädtisch). Und schon hatten die Ratsherren ein Standbein in einer Innung, die eigentlich Erbpächter des Schloss-Amtes als Rechtsnachfolger des Erzbischofs war. Andererseits handelte es sich ja um eine Innung, die als solche in den Kompetenzbereich der Stadt fiel. Nun wird auch klar, warum die Fischerbrüder unbedingt Vorstädter bleiben wollten: Nicht nur die günstigen Gegebenheiten in der Vorstadt-Fischerei waren es, sondern auch die Zugehörigkeit zum Schlossamt und damit zum Herrschaftsbereich des Landesherrn waren vorteilhaft. Man konnte die alten Rivalen Amt und Rat gegeneinander ausspielen und manchmal auch eigene Vorteile dabei erlangen (s. unten: "Fischerkrieg").

1593 wurde in vier Punkten festgelegt:

1. Der Herr Fischmeister Kämmerer Johann Rüde und sein Zugeordneter Fischer-Obermeister Thomas Raphun sollten mit Zutun der anderen Meister für allzeit gute Ordnung in der althergebrachten Brüderschaft sorgen, damit Einkommen, Recht und Gerechtigkeit vermehrt würden. Mitglieder, die Unfrieden säten, sollten sie bestrafen.

2. Der Zugeordnete sollte dafür sorgen, dass die Fischer bei großen Wasserfluten und Eisgang das Wehr, die Mühle und die Brücken beobachten und schützen sowie die Wassertore frei halten (vgl. oben).

3. Weiter sollte darauf geachtet werden, dass das Vieh bei der Trift sicher über die Saale gelangte (vgl. oben).

4. Nach Ablauf von drei Jahren musste Rechnung gelegt und die neuen Aufsichtsführenden bestimmt werden. Die Rechnungsprüfung geschah durch die Sechsmänner.

Siegel des Administrators August von Sachsen-Weißenfels aus der Fischerei-Innungs-Lade (mit freundlicher Genehmigung von Herrn Steffen Held aus Hamburg)

1647 hatten sich die 6 Meister ein Innungsstatut gegeben, dessen Urkunde aber Hertel um 1900 nicht mehr auffinden konnte. Die vom Administrator August, Herzog von Sachsen-Weißenfels (Regierung 1638 - 1680, am 23. Oktober 1669 bestätigte "Ordnung und abgefasste Artikul der Fischer St Nicolai-Brüderschaft zu Calbe"  ging aber im wesentlichen auf diese zurück.

Das Siegel, welches sich die Innung anfertigen ließ, zeigte zwei gekreuzte Lachse, ein Ruder, daneben die Zahl 16 - 69 und in Umschrift: SI:[gillum] DER BRUDERS.[chaft] S. NICOL.[ai] VOR CALBE +   (vgl. Hertel, S.254 f.)

1672 legten die Innungs-Mitglieder darauf hin ein neues Meisterbuch an (s. Abb. weiter unten rechts).

Das "Unterschriften"-Siegel der Brüderschaft mit den Initialen der Mitglieder, wahrscheinlich aus dem 17. /18. Jahrhundert (mit freundlicher Genehmigung von Herrn Steffen Held aus Hamburg)

Die Innungsstatuten wurden am 4. Juni 1687 vom neuen brandenburgisch-preußischen Landesherrn, dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm, und am 1. August 1724 auch vom preußischen König Friedrich Wilhelm I. bestätigt. Der knauserige Monarch hatte aber von den Fischern für diese Gefälligkeit 50 Taler in seine "Rekrutenkasse" gefordert. Die Fischer antworteten, dass sie zu arm seien, um eine solch hohe Summe aufzubringen, und boten dem "Soldatenkönig" stattdessen 25 Taler an. Und Friedrich Wilhelm gab sich nach einiger Zeit zufrieden (vgl. ebenda, S. 255).  Mit dieser Bestätigung war die Nicolai-Brüderschaft eine königlich-privilegierte Innung vor Calbe geworden, die ihren Sitz in einem Dorf hatte, in der aber die Ratsherren (Magistrat) aus der Stadt  mitbestimmten. Da waren Konflikte und Emanzipationskämpfe vorprogrammiert. Zuerst einmal wehrte sich die "Sechser-Riege" hartnäckig gegen das "Eindringen weiterer fremder Elemente" in ihren geheiligten und privilegierten Bund.

Die "Kleine Fischerei" führt vom hohen Ufer auf eine Landzunge hinab

Als 1755 der Fürst von Anhalt-Bernburg in absolutistischer Manier die gesamte Fischerei seines Territoriums den Fischern geraubt und seiner eigenen Herrschaft unterstellt hatte, baten die arbeitslosen Fischer Johann Martin Peau (bzw. Beau) und Jacob Frantz um Aufnahme bei den Nicolai-Brüdern. Die Sechser-Gemeinde der Fischermeister Valtin Zehling, Johann Tobias Dingel, Christian Kögel (bzw. Kegel), Paul Kuntze, Johann Michael Scheele und Johann Georg Hübner wehrte sich entschieden. Auch König Friedrich II. gab ihnen in einem Reskript vom 26. Mai 1756 Recht. Die Sechs pochten als Erbpächter auf ihr Privileg und das Statut mit der magischen Begrenzungszahl, außerdem, dass sie eine Hufe Ackerland zur gemeinsamen Nutzung erworben hätten u. a. mehr. Die zwei  anhaltinischen Bittsteller machten dagegen "geltend, daß sie die Fischerei vermöge ihrer besseren Einrichtungen mit besserem Erfolge betreiben würden und daß sie einen großen Fischhandel für die ganze umliegende Gegend, namentlich auch nach Anhalt und Sachsen, einrichten würden." Ihr Anliegen blieb jedoch erfolglos (vgl. ebenda, S. 255 f.). Dieser Vorgang ist geradezu ein Paradebeispiel dafür, dass inzwischen das Innungs-Wesen zum Hemmschuh für die weitere ökonomisch-soziale Entwicklung geworden war. Was sich im Mittelalter als positive Errungenschaft der Städte herausgebildet hatte, war im beginnenden bürgerlich-kapitalistischen Zeitalter anachronistisch und reaktionär, weil freie Konkurrenz und Innovationen, wie sie beispielsweise die Bernburger Fischer in Aussicht stellten, rigide unterbunden wurden.

Nur einem Bernburger Fischer, Andreas Martin Sonntag, gelang 1780 das Kunststück, in die Nicolai-Brüderschafts-Riege einzudringen. Er hatte schon seit Jahren als Teilfahrer (Geselle) bei Fischermeister Hübner gearbeitet. Als sein Meister ohne Erben starb, erklärte sich Sonntag bereit, die Witwe Hübner zu heiraten, um in den Bund aufgenommen zu werden. Dabei hatte er Fürsprache vom Amtmann Starcke, und als er außer den üblichen Aufnahmegebühren noch ein "Geschenk" von 10 Talern in die Innungs-Kasse gegeben hatte, nahm man ihn auf. Die Sonntags blieben bis 1945 in der Erbpacht-Brüderschaft. 1790 tauchte ein weiteres neues Mitglied auf, Christian Oertel, dessen Nachkommen auch bis zum Ende der Brüderschaft im Bund waren (vgl. ebenda, S. 256). Es musste also inzwischen noch ein Fischermeister ohne Erben gestorben sein.

Nach der Innungs-Ordnung von 1669 neu angelegtes Meisterbuch (1672)mit den Meistern Martin Hübner, Jacob Kegel, Michael Neidhardt, dessen Sohn ... und ... Fabricius ... (mit freundlicher Genehmigung von Herrn Steffen Held aus Hamburg)

Siegel der kursächsischen Grafschaft Barby, bis zu deren Fluss-Grenzen die Calbeschen Nicolai-Fischer fischen durften (mit freundlicher Genehmigung von Herrn Steffen Held aus Hamburg)

Über die Fischerfamilie Kegel, die im 20. Jahrhundert, wahrscheinlich durch Sippenteilung, gleich mit zwei Fischermeistern im Sechser-Bund vertreten war, gibt es genealogische Unterlagen, die mir freundlicherweise von der Familie Steinhausen aus Schwerin zur Verfügung gestellt wurden. Diese Familie ist durch Heiraten im 19. Jahrhundert mit den Kegels verwandt. So ist es auch den überaus fleißigen genealogischen Forschungen der Familie Steinhausen in Verbindung mit der Familie Kegel sowie dem Sammler- und Forscherfleiß eines Kegel-Nachfahren, Herrn Steffen Held, zu verdanken, dass wir weitere Einblicke in die Ursprünge einiger Fischermeister der Nicolai-Brüderschaft erhalten können.

Fast so ähnlich wie in der Rahmenerzählung zu Theodor Storms "Schimmelreiter" hatte nach seinem eigenen Bericht Herr Herrmann Kegel eine Erzählung seines Urgroßonkels Simon Kegel in die Hände bekommen, die den Ursprung der Fischerfamilie in der Bernburger Vorstadt erhellen sollte. Danach war der erste Kegel hier ein flüchtiger Scharfrichter aus Rudolstadt, der eine Katharina (bzw. Katharine) von Heerstraße entführt hatte. Es ist aber möglich, dass das ein Lese-Fehler ist und mit "Heerstraße" der Fluchtweg gemeint war. Ein Bruder der Katharina soll auf der Suche nach der entführten Schwester auch bis Calbe gelangt sein, im Gasthof "Zum Goldenen Stern in der Schlossvorstadt abgestiegen, aber unverrichteter Dinge weiter gefahren sein. Katharina habe ihren Bruder vom Fenster aus sogar gesehen, sich aber nicht bemerkbar gemacht.  Auf alle Fälle sollen Nachkommen des jungen Ex-Scharfrichters Fischer in der Nicolai-Brüderschaft geworden sein. Ein Melchior Kegel (sen.), dessen Vater Mathes auch schon den Fischer-Beruf ausübte, muss um 1650 in den Sechser-Bund "eingedrungen" sein, denn er wird laut genealogischer Unterlagen als Fisch(er)meister bezeichnet. Er ist nur deshalb nicht in der Urkunde vom 18. Juni 1667 (s. oben) erwähnt, weil er schon am 24. September 1664 gestorben und sein Sohn Melchior (jun.), der 1713 urkundlich auftaucht (s. unten), noch nicht volljährig war. Es müssen also bei Minderjährigkeit von Erben durchaus Ersatzmänner bereit gestanden haben, um die geheiligte Zahl Sechs nicht zu unterschreiten. Melchior Kegel (jun.), der am 14. Juni 1725 starb, hatte es sogar mit dem "Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I. aufgenommen, als er diesem, zusammen mit Fischermeister Jürgen Kuntze, im Namen der Brüderschaft die Senkung der Erbpacht um 50% !!! von 200 auf 100 Taler abtrotzte. Beide hatten in einem Schreiben an den König erklärt, dass die Fischer-Brüder auf keinen Fall mehr als 100 Taler aufbringen zu könnten, und Friedrich Wilhelm I., weil niemand sonst das anstrengende Gewerbe übernehmen wollte, war schließlich am 28. März 1713 mit den 100 Talern Erbpacht-Gebühren einverstanden (vgl. Hertel, S. 257). Später ist die Pacht-Taxe sogar noch auf 60 Taler gesenkt worden. Der "Christian Kögel" in der Urkunde von 1756, der sich zusammen mit seinen Innungs-Brüdern weigerte, die zwei anhaltischen Fischer aufzunehmen, ist allem Anschein nach laut Unterlagen der Sohn Melchiors (jun.), George Christian (geboren am 13. 8. 1696 und getraut mit Marie Magdalena Breitschu am 11. 1. 1735). Dessen Sohn Christoph Friedrich (* 16. 2. 1742, verheiratet mit Dorothea Margaretha Uder) erbte den Fischermeister-Posten, und dessen Sohn Simon Kegel, verheiratet mit Dorothea Isensee, , Herrn Herrmann Kegels Urgroßonkel (vgl. oben), war wiederum Erbe des Lehens. Er bekam zu seiner Hochzeit 1797 das Haus Bernburger Straße 52 geschenkt. Es muss damals so ziemlich das letzte im unterwällischen Bereich gewesen sein. Der Sohn Ernst seines Bruders Jacob wurde auch Fischermeister. Verzweigte sich hier das Lehenserbe auf zwei Kegels, wie wir es dann im 20. Jahrhundert noch sehen?

 

Die Landzunge der Fischerei, wo früher auch Transportschiffe anlegten

Wie dem auch sei! Diesen arbeitsamen, wettergegerbten Männern der Fischerei-Brüderschaft vor  Calbe fiel auch die Stabilisierung ihrer Vereinigung unter den Bedingungen des Innungswesens nicht in den Schoß. Sie hatten im Kampf um ihre Unabhängigkeit und um wirtschaftliche  Prosperität mehrfach gerichtlichen Streit. Auch um die Rechte des Fischens bei der Mühle gab es ein Gerichts-Verfahren, das der Erbpacht-Müller 1711 gewann. Er durfte am Wehr, am später verbotenen "Lachsfang" und einem Teil des Mühlgrabens fischen. 1704/05 kam es sogar zum "Lachs-Krieg" mit dem Rat der Stadt (Magistrat).

Alles fing ganz gemäßigt an. Am 1. November 1664 hatte der Stadt- und Landrichter Fiedler befohlen, die Fische nicht mehr in der Stadt von Haustür zu Haustür anzubieten, sondern auf dem Markt in Kästen zum Verkauf auszustellen, dabei sollte das Schloss-Amt als Vertreter des Landesherrn das Vorkaufsrecht haben. Eine vernünftige Idee. Da meldete sich das Amt am 8. April 1695, die Fische sollten auf Amtsgebiet, also im Schloss verkauft werden. Der Rat (Magistrat) witterte sogleich die Möglichkeit der Preiswillkür durch die Amtsvertreter, sandte am 22. April eine Beschwerde an die Regierung - und bekam Recht. Nun betrieb der Rat selbst die Preiswillkür, aber zu Gunsten der Bürger, nicht der Fischer. Als Fischermeister Zehling für das Pfund Lachs sechs Groschen 6 Pfennige verlangte, während der Rat dafür nur 4 Groschen festgelegt hatte, wurden ihm zur Strafe 2 Lachse konfisziert, einer für das Hospital und einer, der gleich für die Stadt-Kasse verkauft wurde.

Eintrag im neuen Meisterbuch von 1672 auf Seite 2

(angepasste Diktion und heutige Rechtschreibung):

"Anno 1674, den 22. September, wurde Meister Melchior Kegel von der Brüderschaft St. Nicolai vor öffentlicher Lade zu einem Meister und Mitglied erklärt und angenommen. [Er] hat auch seine Meisterstücke ohne Tadel verfertigt [sowie] 3 Taler in die Lade nebst 3 Groschen Schreibgebühr und ein rechtmäßige[s] Meisteressen richtig abgestattet."

(Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Steffen Held aus Hamburg)

"Und als Zehling deswegen auf den Rat schimpfte, wurde er in den Hexenturm gesetzt und mußte Urfehde schwören (4. August 1702)." (Hertel, S. 258). Er kam also nicht, wie gewöhnlich, in den "Stock", sondern wie ein Schwerverbrecher in den Hexenturm. Anschließend wurde ihm die s. g. Urfehde abgepresst, das heißt, er musste schwören, sich nicht für die erlittene Schmach am Rat zu rächen.

Am 12. Juni 1704 weigerten sich die Fischer, das Preisdiktat des Rates der Stadt anzuerkennen. Kompromissvorschläge seitens des Amtes und und der Stadt wechselten sich ab. Aber die Fischerei-Brüder pochten hartnäckig auf ihre königlichen Privilegien. Als der Rat der Stadt am 19. Juni 1704 ganz und gar gebot, alle Fische auf dem Markt anzubieten, kam es zur Verhandlung vor der königlichen Kammer in Halle, und die Fischer bekamen "den Bescheid, daß sie ihre Fische verkaufen könnten, wo und wie sie wollten." (Hertel, S. 259). Nun waren die Experten des Rates gefragt, und sie fanden, was sie brauchten: Im § 2 des Brüderschafts-Innungsstatutes von 1647, das die Fischermeister wahrscheinlich selbst nicht mehr kannten und wohl auch nicht lesen konnten, stand ganz eindeutig, dass sie verpflichtet waren, ihre Fische zuerst in Calbe auf dem Markt anzubieten. Außerdem gab es auch noch eine Bestimmung des "Großen Kurfürsten" vom 19. Februar 1698 (am 26. 6. 1702 erneuert), dass auch die nach der "Herrenzeit" (Lichtmess 2.2. bis Walpurgis 30.4.) gefangenen Fische auf den Markt zu bringen und zu versteuern wären. Als die Fischer nach diesen klaren Beweisen noch nicht klein bei geben wollten, griff man zur Gewalt. Einige Fischermeister wurden ins Gefängnis geworfen, um sie zur Aufgabe ihrer starren Haltung zu zwingen. Am 25. April 1705  beschwerte sich das Amt, dass drei bewaffnete Exekutoren die Fischermeister ins Rathaus abgeführt hätten, obwohl diese doch Untertanen des Schloss-Amtes wären. Trotz Androhung schärferer Gewalt blieben die Fischer-Brüder standhaft. Am 11. Mai schickte der Rat einen Korporal mit drei Soldaten und einem Visitator, welche die Mitglieder der Fischerbrüderschaft mit geladenen Gewehren "per force" (mit Gewalt) aufs Rathaus schleppten. Kein Ergebnis. Als Schikane sollten die Soldaten, "die in den Behausungen der Fischer Fressen und Saufen verlangt hatten", so lange dort bleiben, bis die Brüder entnervt aufgaben. Nun rückte der Amtsdiener mit acht Vorstädtern an, welche die Soldaten mit Mistgabeln und Knüppeln vertrieben. Als die Exekutoren mit 30 Musketieren zurückzukehren drohten, kam es schließlich zum Kompromiss in einer Verhandlung am 23. Mai (Protokoll 25. 5. 1705): Der Rat wollte keine Preisvorgaben mehr machen, dagegen sollten "die Fischer die Lachse, ehe sie sie an Fremde verkaufen, zwei Stunden auf öffentlichem Markte feil halten." (Hertel, S. 260 f.).

 

Auf den gegenüber liegenden Bürger-Thie mussten die Fischer das schwimmende Vieh während der Viehtrift von ihren Kähnen aus dirigieren (s. Text oben)

Einen Einblick in die lokalen Gegebenheiten und die Tätigkeiten der Calbeschen Fischer im 19. Jahrhundert gewährt die Novelle "Hass" (vgl. dazu eine Miszelle) des in Calbe geborenen Germanisten und Schriftstellers Max Sidow (1897-1969):

"Friedrich hatte am Abend von seinem Vater den Auftrag erhalten, einige beschädigte Fischreusen, die flußabwärts bei dem Dorfe Gottesgnaden ausgelegt waren, zurückzubringen, damit sie ausgebessert werden konnten. Da niemand sonst verfügbar war, sollte er allein fahren.
Anderntags brach er vor Morgengrauen auf, ging in den schweren Stiefeln, die man mit Stroh ausstopfen musste und bis über die Oberschenkel ziehen konnte, die wenigen Schritte bis zur Saalmauer, kettete den ungefügen Kahn los und fuhr quer über den Fluß zum sogenannten Mönchsheger, einem vorspringenden Teile des gegenüberliegenden Ufers, auf dem die Fischer ihre Netze zu trocknen pflegten. Eintönig rauschten die Wasser über das große Wehr. Er kannte diese gleichförmige Melodie von Kind auf, man hörte das Brausen selbst im Hause noch, es war sein Wiegenlied gewesen, und auch jetzt noch lauschte er vor dem Einschlafen auf diesen schweren, unendlich beruhigenden Takt. Nachdem er eine Weile gestanden und gehorcht hatte, sprang er mit großen Sätzen, als gälte es die Versäumnis durch Eilfertigkeit wieder einzubringen, über die Halbinsel zu der unterhalb des Wehrdammes befindlichen Anlegestelle. Dort bestieg er einen zweiten Kahn und ruderte kräftig stromab bis zu den ruhigeren Gewässern und Buchten, wo die Reusen lagen. Mit dem langen Fischhaken suchte er den Grund ab, bis er das Seil gefunden hatte, das eine Anzahl der steinbeschwerten Fanggeräte miteinander verband, und begann darauf, die kunstvoll geflochtenen Weidenkörbe einen nach dem andern aufzuholen und zu leeren. Bald hatte er die beschädigten Reusen herausgefunden und losgeknüpft. Die andern legte er eine kurze Strecke stromab wieder aus, und während die starken Aale auf dem feuchten Boden des Kahnes sich schlängelten, ruderte er langsam zurück.
Er liebte diese stillen Fahrten, auf denen ihn niemand begleitete. Dann grübelte er, während sein Ruder in das nachtschwarze oder dämmerungsfahle Wasser tauchte, das mit kleinen Wirbeln dem Druck des hölzernen Blattes folgte, oder wenn er das Rohrseil durch die Hände gleiten ließ, die Reusen aus dem schlammigen Grunde heraufzog und sie eine Weile noch des anhaftenden Schmutzes wegen im Wasser schwenkte, bevor er sie in den Kahn hob. Trug er aber den gefüllten Fischkasten die wenigen Schritte über den knirschenden, von Muscheln durchsetzten Sand zum Mönchsheger hinauf, dann war es ihm stets, als müsste er nun erst im Nachsinnen verweilen und seine Gedanken zu noch tieferer Innerlichkeit und Versenkung sammeln. In seinem Rücken war die Sonne aufgegangen, bestrahlte die weißen Schäume der über den Damm brausenden Saale und durchglühte sie mit perlmutternden Schimmern, tauchte die Stadt am gegenüberliegenden Ufer in goldrotes Frühlicht und spiegelte sich in den blitzenden Fensterscheiben. Drüben in der Mühle war dann schon tätigstes Leben, stumm ragte daneben der grau verwitterte Hexenturm, und weiter nach Süden, fast schon dort, wo die hohe Saalmauer zum Ziegelbau des Stadttores aufstieg, lag das Haus, auf das Friedrich, wenn er allein vom Fischfang kam, lange zu schauen pflegte; war er aber in Gegenwart der andern, so wagte er nur, es mit einem scheuen Blicke, wie zufällig, zu streifen.
An diesem Morgen hatte er keine Zeit zum Grübeln und Verweilen. Als er, zurückkehrend, unterhalb des Wehres anlegte, stand da schon sein Vater, der ihn ungeduldig erwartet hatte. Ihm reichte er die beschädigten Reusen und das Netz mit den Fischen hinüber, sprang dann an Land und schloß den Kahn fest. Gemeinsam trugen sie die Geräte hinauf. Oben gab es noch andere Arbeit. Einige Netze und Garnsäcke, die dort zwischen Pappeln und Weiden zum Trocknen hingen, sollten abgenommen und verstaut werden…" (Sidow, a. a. o., S. 29 ff.)

 

1858 endete hier in Calbe und in Preußen die Hörigkeit der Fischer und damit ihr Erbpacht-Verhältnis. Obwohl sie nun juristisch freie "Handwerker" mit einem freien Besitz als Eigentum waren, blieben die Fischer bei ihrer alten Form der Sechser-Brüderschaft. 1945 nach Kriegsende wurde die "Fischer-Brüderschaft St. Nicolai zu Calbe" nach 506 Jahren ihres Bestehens aufgelöst und geschlossen. Ein wesentlicher Teil der Calber Geschichte und Tradition war zu Ende. Seit den 1920er und -30er Jahren war auch ohnehin die Saale-Fischerei immer schwieriger geworden, weil durch die Industrieabwasser von Leuna-Merseburg nicht nur die Fische starben, sondern der überlebende Rest auch noch vergiftet war. Derzeit erholt sich die uralte "Salawa" langsam wieder.

Copyright: Dieter H. Steinmetz

 

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