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Calbe als Garnisonstadt
(s. auch: Page 18 "Breite" in: http://members.fortunecity.de/steinmetz41)
Als Calbe zu Brandenburg-Preußen kam, wurde in der Stadt schon bald eine Militär-Garnison eingerichtet. Die Chefs, unter anderen auch der Oberst Prinz Dietrich von Anhalt-Dessau, nahmen ihre vornehme Wohnung in der Breite (im Hause von Strähler, später von Wermuth?), weil man hier vorzüglich die Paraden abnehmen konnte (vgl. Hertel, Geschichte..., a. a. O., S.46). Der Exerzierplatz lag auf den Hohendorfer Wiesen.
Obwohl das aus dem Französischen stammende Wort "Garnison" eigentlich "Verteidigungsausrüstung" bedeutet, verstand man unter dem Begriff bereits im 17. Jahrhundert eine Standortbesatzung. Die Städte, die eine Garnison besaßen, waren jedoch durchaus nicht in der glücklichen Situation, durch "ihre" Soldaten geschützt zu werden, denn im Kriegsfalle bewegten sich die Truppenteile entsprechend der vorgesehenen strategischen und taktischen Pläne an ganz andere, oft weit ab gelegene Orte (vgl. weiter unten). Dadurch waren die Garnisons-Bürger genauso wie die Einwohner anderer Gemeinden im ungünstigen Fall der Willkür der Gegner ausgesetzt.
Von Anfang an hatten die Calber Bürger ein gespaltenes, teilweise auch gespanntes Verhältnis zum preußischen Militär.
Obwohl nach den Bestimmungen des Westfälischen Friedens das vom letzten Administrator Herzog August von Sachsen-Weißenfels (1614 - 1680) verwaltete Erzstift Magdeburg erst nach Augusts Tode als Herzogtum an Brandenburg-Preußen fallen sollte, betrachtete der "Große" Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1640 - 1688) das Territorium schon vorher als das seine. Er besetzte bereits zu Augusts Lebzeiten das Magdeburger Gebiet (vgl. Rocke, Geschichte und Beschreibung ..., S. 47) und ließ hier seine Truppen gegen die Schweden aufmarschieren. 1657 hatte Brandenburg die Fronten gewechselt und war ein Bündnis mit Österreich und Polen gegen Schweden eingegangen. Gleichzeitig hatte Polen im Vertrag von Wehlau (Snamjensk) bei Königsberg (Kaliningrad) die brandenburgische Souveränität in dem an Russland angrenzenden Preußen (=Po-Russia =Prussia) anerkannt.
Als es 1675, nachdem die Schweden auf Betreiben Frankreichs in die Mark Brandenburg eingefallen waren, zu einer der bedeutendsten Schlachten Brandenburg-Preußens gegen Schweden ging, zum historischen Treffen bei Fehrbellin, versteckten die Calbenser ihr Vieh auf dem Thie vor den Truppen Friedrich Wilhelms (vgl. Reccius, Chronik..., a. a. O., S. 60).
Diese Schlacht verloren die Schweden unter Karl Gustav Wrangel, Graf von Salmis, einem "alten Bekannten" aus Calbe (vgl. Miszelle "Anna Margareta von Haugwitz"). Am 25.6.1676, dem ersten Jahrestag der Schlacht, starb der 63jährige Reichsmarschall und Generalgouverneur von Pommern auf mysteriöse Weise in einer seiner pommerschen Residenzen, dem Schloss Spyker auf Rügen, angeblich an Gehirnschlag. Nach der anschließenden "Befreiung" Pommerns war der Weg frei für die neue Großmacht Brandenburg-Preußen, später kurz Preußen genannt. Kaum waren die Schweden geschlagen, machte sich das neue preußische Militärsystem auch in Calbe breit.
Bereits 1677, also drei Jahre vor dem Ableben des Administrators und somit vor dem vereinbarten Zeitpunkt der Machtübernahme, muss sich in Calbe brandenburgisch-preußisches Militär niedergelassen und die Stadt faktisch eine Garnison bekommen haben, denn der Oberstleutnant von Lichtenhain ließ gegen den Widerstand des Rates auf dem Marktplatz einen Galgen mit einer Namenliste von entlaufenen Soldaten aufstellen (vgl. Reccius, a. a. O., S. 60). Auch 1683, bei dem großen Stadtbrand, waren es in Calbe stationierte brandenburgische Soldaten, die die Bürger alarmierten (vgl. Rocke, a. a. O., S. 149).
Von Anfang an war also, wie der Galgen von 1677 verdeutlicht, das Problem der häufigen Desertionen im neu geschaffenen stehenden brandenburgisch-preußischen Heer präsent, was aber bei der Art der Soldatenanwerbung und -ausbildung nicht erstaunlich war.
Über den militärischen Drill und die Strafen in der preußischen Armee ist genug bekannt geworden, weshalb an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen wird , sondern vielmehr aus dem noch folgenden Calber Quellenmaterial weiteres ersichtlich werden soll.
Eine Garnison scheint also in Calbe schon seit den lokalen Anfängen des absolutistischen Preußentums existiert zu haben (- und blieb hier auch bis zum jähen Ende 1806 durch Napoleon -). Hävecker wies einige Male darauf hin, dass der preußische Truppenstandort Calbe schon seit dem Ende des 17. Jahrhunderts existierte, und eine Akte von 1746 sagte aus, dass die Stadt schon seit "vielen und langen Jahren stark bequartieret gewesen" sei (vgl. Hertel, S. 46).
Für die Zeiten der Garnisonierungen hatten die Bürger "ihre" Soldaten aufzunehmen und zu beköstigen. Diese Unterbringungen waren nicht problemlos.
Hävecker berichtet u. a. in seiner Chronik (Hävecker, S. 36) von einem bedauerlichen Unglück in der Förderstedter Familie von Andreas Peter am 19. Februar 1701, hervorgerufen durch den neu geworbenen Kavallerie-Rekruten Hans-Heinrich Hellwig aus Calbe: Der Rekrut hatte sein Gewehr mit "Hagel", einer Kartätschen- Geschossmischung, geladen und die Waffe vor sich auf den Tisch gelegt. Durch sein unerfahrenes Verhalten hatte sich ein Schuss gelöst. Die Magd, die gerade den 3 Monate alten Säugling der Familie auf den Armen trug, stürzte, von den Bleistücken tödlich zwischen den Augen getroffen, zu Boden. Der Säugling blieb wie durch ein Wunder unversehrt.
1722 lag das gesamte "Dessauer Regiment" (Infanterie-Regiment Nr. 3), die Muster-Militäreinheit unter dem Generalfeldmarschall Leopold Fürst von Anhalt-Dessau 7 Wochen lang in Calbe (vgl. Reccius, S. 70).
Der "Alte Dessauer", ein Freund des "Soldatenkönigs" und der "Drillmeister" Preußens, hatte einige Neuerungen eingeführt, wie straffe Dienstreglementierung, Elementartaktik und Vollendung der Lineartaktik, Einführung des eisernen Ladestocks und Erhöhung der Feuerkraft, das Exerzieren und den Gleichschritt. Nach seinen beeindruckenden Leistungen 1686 vor Ofen [Westteil von Budapest], 1703 bei Höchstädt [bei Bamberg], 1705 in Cassano d´Adda [bei Mailand] und 1715 vor Stralsund galt das "Regiment Anhalt" 1740 nach der Königsgarde als das beste Regiment der Armee. Seine Rekruten kamen aus den Militär-Kantonen (s. unten) Halle, Wettin, Löbejün, Könnern, Leimbach, Schraplau, aus dem Saalkreis, der Grafschaft Mansfeld und einem Teil des Fürstentums Halberstadt (vgl. Regimenter der preußischen Armee). Wiederholt waren die "Dessauer" durch kaltblütig-protziges Verhalten der Offiziere aufgefallen, indem sie die Linien der Elitesoldaten mit geschultertem Gewehr im Gleichschritt auf die feindlichen Stellungen zu marschieren und diese dann, wenn auch inzwischen stark dezimiert, überrennen ließen. Das musste eine enorme psychologische Wirkung auf den Gegner ausgeübt haben, führte aber 1745 bei Kesselsdorf nahe Dresden in ein Desaster, als das Regiment mit dem "Alten Dessauer" voran über einen vereisten, deckungslosen Hang den Angriff in der alten schockierenden Weise eröffnete und dabei 563 Mann verlor (vgl. ebenda).
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Fahne des Dessauer "Regiments Anhalt" |
Da das Dessauer Regiment "Anhalt" mit seinen drei Bataillonen eine Stärke von ca. 2100 Mann hatte, betrug 1722 bei seinem Quartier in Calbe das Verhältnis von Bürgern und Militärangehörigen fast 1 : 1. Das hätte bedeutet, dass in jeder Calbeschen Familie etwa drei Soldaten untergebracht und verpflegt werden müssten, da es in den Städten (noch) keine Kasernen gab.
Diese Zahlen sind - zumindest aber seit 1714 - nicht richtig, denn eine der vielen Neuerungen des Soldatenkönigs im Militärwesen war die Einführung des Beurlaubungssystems für die Soldaten der unteren Schichten; denn es ging ja vor allen Dingen auch um die ökonomische Stärkung Preußens. Wie sollte die Wirtschaft blühen, wenn Bauern ohne ihre Söhne, Handwerker ohne ihre Gesellen auskommen mussten. In Friedenszeiten gingen die jungen Burschen nach der 18monatigen Grundausbildung und der festgesetzten jährlichen Exerzier- und Garnisonszeit für einige Monate im Jahr nach Hause. In der Garnison blieb ein Drittel der Mannschaft. Dieses Drittel bestand aus angeworbenen Nicht-Preußen, damals Ausländer genannt, z. B. aus württembergischen, hessischen oder bayrischen Burschen. Außerdem mussten auch brandenburgisch-preußische Soldaten in der Stammbesatzung der Garnison bleiben, wenn sie sich freiwillig zum Dienst verpflichtet hatten oder wenn sie in eine zur Kompanie gehörende Soldatenfamilie hinein geboren worden waren und schon von Kindheit an als Angehörige der Truppeneinheit galten (vgl. Das altpreußische Heer).
Demnach waren also 1722 in der Garnison Calbe "nur" 700 Soldaten präsent; das bedeutete, dass jede Familie einen bis zwei Soldaten unterbringen musste.
Wie gesagt, es waren aber nur sieben Wochen.
Später jedoch sollte die Belastbarkeit der Calber Bürger auf noch härtere Proben gestellt werden.
Am 18. Oktober 1741, also während des Schlesischen Krieges, rückten 4 Kompanien des Infanterieregiments von Leps, welches zuvor im Lager Göttin bei Brandenburg gelegen hatte, in Calbe in die Winterquartiere (vgl. Reccius, S. 74). Das hieß, da in jener Zeit meist im Winter kein Krieg "stattfand", dass die Truppen von Oktober bis März von den Bürgern untergebracht und versorgt werden mussten. Zwar wurde das aus der Preußischen Kriegs- und Domänenkasse, die sich in Magdeburg befand, vergütet, aber zu weniger günstigen Sätzen, so dass die Bürger meist das Nachsehen hatten. Außerdem handelte es sich um Gelder, die sie selbst durch hohe Steuern aufgebracht hatten. Vier Kompanien mit zusammen ca. 200 Mann Stammbesatzung bedeuteten, dass etwa jede zweite Calbesche Familie einen ständigen Soldaten "abbekam", die anderen Bürger nur einen zeitweisen.
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Fahne des Infanterieregiments (Nr. 9) von Leps |
Bei dem Leps-Regiment
handelte es sich um das "Regiment zu Fuß" (Nr. 9), das 1735 vom Oberst (später
Generalmajor) Otto Friedrich von Leps übernommen worden war. Im Ersten
Schlesischen Krieg (1740/42) hatte das Regiment zum Korps des Fürsten Leopold
von Anhalt-Dessau gehört, das Anfang April 1741 ins Lager Göttin südlich
Brandenburg/Havel kam.
Im Zweiten
Schlesischen (1744/45) und im Dritten, dem so genannten Siebenjährigen Krieg
(1756 - 1763), nahm dieses Regiment unter hohen Verlusten (jeweils 10 bis 50 %
!!! Tote und rund 20 bis 40 % Verwundete), die stets immer wieder notdürftig
durch Neuanwerbungen und Rekrutierungen "ausgeglichen" wurden, an den berühmt-berüchtigten
Schlachten bei Kesselsdorf, Lobositz (Lovosice bei Usti n. L.), Prag, Kay (bei
Frankfurt/Oder), in der Rokytnicer Schlucht (tschechisches Riesengebirge - 58 % Tote),
bei Roßbach (bei Weißenfels), Breslau (Wroclaw), Kolin (zwischen Prag und Hradec
Kralove), Kunersdorf (bei Fürstenwalde) und Torgau teil. 1762 war das Regiment so
dezimiert und ausgelaugt, dass es nur noch zur Besatzung von Neisse taugte.
Das Schicksal dieses Regiments war nicht die Ausnahme, sondern die Regel, und wir haben keinerlei Grund, diese Seite des Preußentums zu glorifizieren.
Nach dem preußischen Sieg bei Chotusitz (Chotusice bei Kutna Hora in Tschechien - 17. 5. 1742) über die Österreicher feierte das Erste Bataillon des Leps-Regimentes in Calbe mit großem Aufwand und nicht gerade zur Freude der Bürger. Mit Trompeten- und Paukenschall wurde ein Tedeum abgesungen, die Festrede hielt Diakon Christian Friedrich Klein, der ehemalige Inspektor des Francke´schen Waisenhauses in Halle und künftige Pastor Primarius (seit 1745). Auf den Hohendorfer Wiesen, dem Exerzierplatz der Garnison, fand ein "Vivat Victoria" mit einem Lauffeuer statt. Hier vor der malerischen Waldkulisse bewirtete der inzwischen zum Generalmajor beförderte Regimentskommandeur von Leps die Herren Offiziere auf das Herrlichste. Auf dem Anger nahe dem Sandhof wurde ein Feuerwerk abgebrannt mit Raketen, Granaten und Feuerkugeln, die über die Saale rollten. Nachdem sich der Herr General in sein Quartier im Reichenbachschen Rittergut zurückgezogen hatte, brachten ihm die aufgekratzten Offiziere noch ein Ständchen, zogen dann aber weiter, um "anzügliche Arien unter Leierbegleitung" unter den Fenstern derjenigen Ratsmitglieder zu singen (wohl zutreffender: zu grölen), mit denen sie auf Kriegsfuß standen. Das gab allerdings Ärger, aber am 18. Juni kam das Zweite Bataillon von Aken, und kurz danach rückte das nun vollständige Regiment nach Westfalen ab (vgl. Reccius, S. 74). Doch die Ruhepause für die Bürger dauerte kaum länger als ein Jahr.
Im Oktober 1743 kam das Zweite Bataillon vom (in Burg bei Genthin) neu gegründeten Füsilierregiment Hessen-Darmstadt (Infanterieregiment Nr. 47) ins Quartier nach Calbe.
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Fahne des Füsilierregiments (Nr. 47) Hessen-Darmstadt |
Das Regiment wurde, wie es damals üblich war, nach dem ersten, 1743 eingesetzten Regiments-Kommandeur Oberst (später Generalmajor) Georg Wilhelm Prinz von Hessen-Darmstadt benannt. Als zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Regimenter Ziffern erhielten, wurde daraus das Infanterieregiment Nr. 47 (vgl. Regimenter...). Das Regiment nahm 1745 an der Kesselsbach-Schlacht bei Dresden teil, zog 1756 mit Friedrich II. in die Schlacht bei Kunersdorf gegen die Russen, wo es am 12. August im Kartätschenfeuer 600 Mann, die Hälfte, verlor. Nur zwei Soldaten (Offiziere) blieben dabei unverletzt. Weitere Schlachtorte des Regiments Nr. 47 waren: Torgau, Körbitz (bei Jüterbog), Pretzsch (bei Bad Schmiedeberg), Maxen (bei Dresden), Kolberg (Kolobrzeg) und Stettin (Szczecin).
An der Herkunft der
Regimentskommandeure (z. B. von Anhalt-Dessau, von Hessen-Darmstadt oder von
Anhalt-Bernburg) erkennt man, dass übrigens nicht nur bei den Mannschaften
"Ausländer" gern gesehen waren, sondern auch Landesherren kleinerer Territorien
und deren Söhne Ruhm, Segen und Karriere bei den Preußen und ihrer Armee
suchten.
Das Bataillon blieb bis 1753
in Calbe stationiert, war aber überwiegend mit Rekruten aufgefüllt, die in
Oberschlesien ausgehoben worden waren
(vgl. ebenda).
1747 [nicht 1741, wie Hertel a. a. O. schrieb] hatte Oberst (später Generalmajor) Christian Reinhold von Derschau [- wahrscheinlich verwandt mit dem Vertrauten Friedrich Wilhelms I., Christian Wilhelm von Derschau -], der mit seinem ersten Bataillon in Burg lag, das Regiment übernommen. Der ihm unterstellte Kommandeur des in Calbe stationierten zweiten Bataillons war Oberst von Bolstern (Baron Bolstern von Boltenstern - vgl. Biographies...), der 1740/41 das Grenadier-Bataillon des Infanterieregiments Nr. 27 (vgl. Infanterieregiment Nr. 3) befehligt hatte. Dessen Stellvertreter wiederum war Stabsoffizier Major Friedrich Ludwig von Kleist, der 1756 Chef des Grenadierbataillons beim Infanterieregiment Nr. 6, der so genannten Grenadiergarde (Regiment Friedrichs II. - "Königsregiment") war (vgl. ebenda) und 1757 als Generalmajor selbst Kommandeur des Infanterie-Regiments zu Fuß Nr. 9 wurde (vgl. Regimenter...).
Aus dem preußischen Offiziers-Geschlecht der von Kleists ging auch der "aus der Art der Familie geschlagene" bedeutende Schriftsteller und Dichter Heinrich von Kleist (1777-1811) hervor.
Außer den beiden hohen Stabsoffizieren waren auch 19 andere Offiziere ins Calber Quartier gekommen, darunter die Hauptleute von Mardefeldt, von Waltersdorff und du Moulin, weiterhin 48 Unteroffiziere, 48 Unteroffiziers-Ehefrauen, vier Feldscher (Militärmediziner), 16 Tambours (Militärmusiker), eine Tambour-Ehefrau, 546 Füsiliere (Infanteriesoldaten, nach frz. fusil = Gewehr) und 93 Soldaten-Ehefrauen (vgl. Hertel, a. a. O.).
Die seit dem Ende des 17. Jahrhunderts im preußischen Offizierskorps oft auftauchenden französischen Namen sind ein Hinweis darauf, dass ein Teil (rund 30 %) der Kommandeure aus Frankreich stammende Refugiés waren. Dieser vom Großen Kurfürsten und vom Soldatenkönig geförderte recht hohe Anteil hatte unter anderem positive Auswirkungen auf die Hebung der meist tief gesunkenen Moral der preußischen Führungsschichten und auf die Verbesserung des Ansehens der von den Bürgern als Parasiten verachteten Offiziersadligen.
Das Bataillon hatte also eine Stärke von 635 Mann, und bei ca. 3000 Einwohnern kam auf 5 Calbenser, auf rund jede Familie, ein Militärangehöriger, wobei wegen des Beurlaubungssystems (s. oben) die Belastungen für die Mehrheit der Familien nicht das ganze Jahr über vorhanden war. Über die Einquartierungen gab es, wie die Akten berichten, viel Wut unter der Bürgerschaft, die sie vorwiegend an den Behörden ausließ. Bald schon gab es eine Rüge des Kommandeurs, weil trotz des Alarms nicht ein Bürger zur Verfolgung eines Deserteurs auf dem Marktplatz, wie befohlen, erschienen war (vgl. Reccius, S. 74). Dann kamen auch noch die ehrenrührigen Beschwerden des Obersten und seiner Offiziere hinzu, in Calbe würde ein schlechtes Bier gebraut, schlechtes Brot gebacken und es gebe zu wenig Fleisch (vgl. Hertel, S. 47). Das brachte den Rat so in Rage, dass sich der Sechsmann Johann Friedrich Faulwasser (gest. 1754) gegenüber von Bolstern zu der in den Akten notierten Bemerkung hinreißen ließ, in Calbe gebe es ein Gespann von 4 Bürgermeistern [Oberbürgermeister, Regierender Bürgermeister, Prokonsul und Kämmerer], es fehle nur noch der Kutscher dazu (vgl. Reccius, ebenda).
War diese Spitze des Sechsmannes nur gegen den selbstherrlichen Führungsstil von Bolsterns gerichtet?
Von Bolsterns Umgang mit Menschen scheint nicht nur bei den Bürgern, sondern auch bei seinen Soldaten auf Widerwillen gestoßen zu sein, denn wiederholt sind in den Akten Hinweise auf Gewalttaten der Vorgesetzten und auf Desertionen zu finden.
Am 17. September 1747 kam der Erlass, die Hintertüren der Calber Häuser verschlossen, alle Leitern angekettet zu halten und keine neuen Ausgänge anzulegen, um Desertionen zu erschweren. Ein Soldat, der Ausrüstungsgegenstände gestohlen hatte, erhielt "harte Schläge" und erhängte sich bald darauf in seinem Quartier.
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Fahne des Infanterie-Leibregiments des Königs (Nr. 5 - s. unten) |
Als der Soldat Kallenbach mit drei anderen Kameraden bei der Flucht gestellt wurde und in seiner Verzweiflung einen ihn verfolgenden Unteroffizier durch einen Stich ins Bein so verletzte, dass dieser später verstarb, wurde er in Calbe auf dem Marktplatz in Anwesenheit des Bataillons gehenkt. Abends musste der Henker den Leichnam abnehmen und zum Galgenplatz, 800 Meter westlich vor dem Brumbyer Tor (heute Kleingartenanlage gegenüber der Gärtnerei Wüstling), auf einer "Schleife" schleifen (- nicht fahren). Dort wurde die Leiche des noch im Tode gedemütigten Mannes, der nur seinem harten Los entfliehen wollte, ohne Grab unter dem Galgen verscharrt. Einem Unteroffizier mit 3 Mann gelang am Pfingsttag 1744 die Flucht. Die Calbeschen Bürger mussten auf Befehl des Kommandeurs ohne Entschädigung ständig 4 Pferde zur Verfolgung von Deserteuren bereit halten (vgl. Reccius, S. 74 f.).
Soldaten, die für die Truppe Kutscherdienste zu versehen hatten, waren besonders desertionsverdächtig. Deshalb wurde ihnen ein Teil des Kopfes kahl geschoren, bei Fuhrknechten der Artillerie die rechte Seite, bei denen des Proviantamtes die linke Seite und bei Infanteriekutschern die Mitte. Bei Verdacht mussten sie deshalb die Kopfbedeckung abnehmen (vgl. Reccius, Chronik ..., S. 80).
1758 suchte man einen Deserteur namens Staude vom Regiment Alt-Braunschweig vergeblich bei seinen Eltern in Calbe; er war aus dem Lazarett in Torgau geflüchtet (vgl. Reccius, a. a. O., S.77).
Als die Bürger sich bei der Kriegs- und Domänenkammer wegen der starken Belastung durch das Bataillon beschwerten, wurde Staßfurt mit monatlich 20 Talern "Hilfsquartiergeld" zur Unterstützung der Calbeschen Bürgerschaft herangezogen. Weiterhin brauchten laut einer Verfügung vom 8.9.1747 die Calbenser sonntags nicht mehr "ihre" Soldaten verpflegen (vgl. Hertel, S. 46 f.) .
Immerhin hatte der preußische Staat unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. es mit der neuen Auffassung von staatsbürgerlichem Recht möglich gemacht, dass Bürger staatlichen Schutz suchen konnten und ihnen auch oft Gerechtigkeit in einem gewissen Sinn widerfuhr. Bürgertum und Militär waren die Hätschelkinder der Preußenkönige, und beiden sollte nach Möglichkeit geholfen werden, wozu eine Vielzahl neuer Gesetze und Verfügungen diente.
Wie stark sich die Situation seit dem 17. Jahrhundert und seit der brandenburgisch-preußischen Herrschaft verändert hatte, zeigt die Aktennotiz (1747), dass der aus Altenweddingen zugezogene Neubürger Valtin Siedentopf einen Verweis erhielt, weil "er wiederholt seine Magd mit Schlägen gar übel traktieret". Als Siedentopf zur Entschuldigung behauptete, die Magd habe ihn bestohlen, erklärte der Rat (Magistrat), "er habe dergleichen der Obrigkeit zur Bestrafung zu melden und dürfe sich nicht eigenmächtig Satisfaktion verschaffen". 5 Tage Arrest erhielt Siedentopf dann doch noch, als er verkündete, "er scheiße auf den Magistrat" (Reccius, S. 75).
Besonders Friedrich Wilhelm I. und sein Sohn Friedrich II. hatten mit Nachdruck daran gearbeitet, aus dem armseligen, schlecht verwalteten Brandenburg-Preußen des 17. Jahrhunderts einen gut bis ins letzte Glied durchorganisierten und respektierten Beamten- und Militärstaat zu machen. Die Preußenkönige liebten Bürger und Bauern wohl nicht vorrangig aus christlichen Gründen, sondern vielmehr, weil sie die Schöpfer des wirtschaftlichen Wohlstandes und damit der Unabhängigkeit und Stärke des Hohenzollernstaates waren. Menschen waren nun nicht mehr wie im Mittelalter "nutzlose, verderbte Sünder", sondern wertvolle Objekte, ja Subjekte, die man für die Staatswohlfahrt dringend brauchte.
So konnte auch eine Calber Magd einen kleinen Zipfel von der "neuen Gerechtigkeit" des preußischen Staates erhaschen.
Diese oben erwähnte bürgerliche Auffassung der "Ersten Bürger im Staate", Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs I., kollidierte allerdings mit dem obsoleten Dünkel der brandenburgisch-preußischen Junker- und Offizierskaste. Dem alteingesessenen Landadel konnten der "Große Kurfürst" und seine königlichen Nachfolger nur allmählich durch Dienstpflichten in Armee und Beamtentum die Zügel anlegen. Manchmal mussten aber auch die Landesfürsten für die "Staatsraison" Zugeständnisse machen, z. B. bei der Sanktionierung des neuen Bauernlegens, der so genannten "Zweiten Leibeigenschaft" in Brandenburg-Preußen (Landtagsrezess von 1653).
Ein wichtiges und für die stehenden Heere erhebliches Problem waren die oben schon erwähnten Desertionen, obwohl die "aufgeklärten Monarchen" durch strenge Reglementierung das harte Los des Soldatentums in ihrem Interesse erträglicher zu machen versuchten. Aber, auch wenn der Soldat sich laut Dienstreglement über allzu große Härten und Schikanen bei den vorgesetzten Behörden beschweren und sein Recht suchen konnte, so blieben doch in der Regel und in der Praxis oft die adligen Offiziere die Herren ihrer militärischen Einheiten.
Die rivalisierenden Staaten versuchten wechselseitig, die Soldaten der Gegenseite zur Desertion zu bewegen, wobei potentielle Flüchtige mit materiellen Vergünstigungen gelockt wurden.
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Fahne der Leibkürassiere (Kürassierrregiment Nr. 3 - s. unten) |
1741 erteilte die Kriegs- und Domänenkammer in Magdeburg dem sächsischen Deserteur Johann David Bretschneider die Erlaubnis, sich in Calbe als Zimmergeselle zu betätigen und aufzuhalten. Man konnte ja jede schaffende Hand gebrauchen. 1756, zu Beginn des Siebenjährigen Krieges waren die Städte von hoher Stelle angewiesen worden, österreichischen und französischen Deserteuren "täglich zwei Groschen Zehrgeld aus öffentlichen Kassen" - damals ein erhebliches "Tagegeld" - zu verabreichen. Die Anwesenheit der Deserteure in den einzelnen Städten wurde auf ihren Pässen (damals briefförmig gefaltete Bögen) vermerkt (vgl. Reccius, S. 74, 77 f.). Wie weit Gewalt auch bei der skrupellosen Jagd nach Soldaten im Spiel war, zeigt ein Calber Vernehmungsprotokoll von 1769. In Ratibor (wahrscheinlich das heute polnisch-schlesische Raciborz) hatte man den preußischen Infanterie-Soldaten Kröckel als Überläufer festgenommen. Der ehemalige preußische Unteroffizier, der invalide Sattler Johann Samuel Drenkmann, der ihn kannte und jetzt in Calbe lebte, gab zu Protokoll, "es treffe zu, daß die Östreicher den gefangenen preußischen Musketier Kröckel durch qualvolle Behandlung - Krummschließen u. dergl. - gezwungen hätten, kaiserliche Dienste anzunehmen." (Reccius, S. 78)
Sicherlich wird dieser Fall von Gewaltanwendung zur Soldaten-Nachschubgewinnung nicht zu den alltäglichen Erscheinungen in den europäischen Armeen gehört haben. Vielmehr entliefen die Männer hauptsächlich wegen der Härten und Schikanen ihrer Vorgesetzten und wegen der entsetzlich hohen Verluste in den Gefechten und Schlachten (s. oben und weiter unten), aber auch wegen der Lockmittel der Gegenseite.
In der Zeit der "wilden Rekrutierungen" am Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts, als die brandenburgisch-preußischen Herrscher noch nicht wussten, woher sie die dringend benötigten Soldaten bekommen sollten, flohen nicht nur die Bauernburschen, sondern auch ganze Familien und die Dorfbewohner aus den Gebieten, in denen Zwangsrekrutierungen betrieben wurden. Der wirtschaftliche Schaden war natürlich groß.
Friedrich Wilhelm I. beendete die "wilden Rekrutierungen" und damit in gewissem Sinne die Unsicherheit der Bevölkerung in Bezug auf militärische Nachwuchsgewinnung, indem er das Kantonierungssystem entwickelte. Der Weg dahin führte über die Idee einzelner Kommandeure, sich einen Reservestamm für den Bedarfsfall, die so genannten Überkompletten, zu schaffen. Diese Überkompletten standen in Listen, und auf sie wurde bei Verlusten durch Kämpfe oder durch Desertionen zurückgegriffen. 1733 entwickelte der Soldatenkönig daraus das Kantonreglement, nach dem das ganze Land in Militärkantone eingeteilt wurde, aus denen sich die Regimenter zu rekrutieren hatten. Die Rekrutierungen betrafen ausschließlich Bauern- und Handwerksburschen. Nach dem Motto: "Wer die Jugend hat, hat auch die Zukunft!" begann man mit der Vorbereitung bei den Knaben. Die Kommandeure ließen in ihrem Kanton alle gesunden und gut gewachsenen Jungen registrieren, um sie dem Regiment »obligat« (unerlässlich) zu machen, wie es damals offiziell hieß. Die Knaben trugen nun die Regimentsfarbe an ihren Hütchen, die sie als künftige Soldaten kennzeichnete.
Um die Jungen als potentielle Soldaten und die Mädchen als künftige Soldatenfrauen für militärischen Glanz zu begeistern, bekamen die Schulkinder bei Truppen-Durchmärschen, Paraden und Militär-Festen schulfrei (vgl. Reccius, S.79).
Nach der Konfirmation wurde die Jungmannschaft »enrolliert«, d. h. in die Stammlisten eingetragen. Benötigte der Kommandeur Ersatz, zog er so viele Enrollierte mit der vorgeschriebenen Größe ein, wie er brauchte. Die Mindestgröße der Kantonisten von 1,72 m war keine Marotte der Könige, sondern eine militärische Notwendigkeit. Um die langläufigen, 50 Meter weiter als andere treffenden Musketen (von vorn bzw. oben) laden und die bis zu 20 kg schwere Ausrüstung über weite Entfernungen schleppen zu können, bedurfte es großer, kräftiger Burschen. Übrigens: Das geflügelte Wort vom "unsicheren Kantonisten" stammt aus dieser Zeit, als es auch junge Burschen gab, die sich mit dem Gedanken trugen, nicht "bei der [Regiments-]Fahne" zu bleiben und sich rechtzeitig abzusetzen, also bereits als Enrollierte vor ihrem Militärdienst zu desertieren.
Allerdings war es auch möglich, sich - im Interesse einer prosperierenden Wirtschaft - vom Militärdienst freistellen zu lassen. Als Fleischermeister Johann Heinrich Fickert 1789 starb, war sein Sohn Christian Friedrich noch in der Lehre. Der junge Mann führte 7 Jahre lang das Geschäft für seine Mutter als Geselle, weshalb er nicht nur als Kantonist des Kalcksteinschen Regiments (Nr. 20 - s. unten) gestrichen wurde, sondern auch Meister ohne die obligatorischen drei Wanderjahre werden durfte (vgl. ebenda, S.83). Auch Loskauf war möglich. 1731 ließ der Landgerichtsschöffe Otto Christian Hertzebruch sein Mündel für 20 Taler aus der Regiments-Stammrolle (s. oben) streichen (vgl. ebenda, S. 72). Kantonierung galt nur für die unteren Volksschichten. 1773 beanspruchten die Mitglieder der Kaufmanns-Innung Freiheit von der Enrollierung ihrer Söhne, weil sie ein entsprechendes Vermögen aufzuweisen hatten (vgl. ebenda, S. 79). |
Calbe gehörte zum Kanton für das Infanterie-Regiment Nr. 5 (Regiment zu Fuß) [1655 - 1806], dem berühmt-berüchtigten "Leibregiment des Königs".
So hatten denn auch die jungen Männer aus Calbe neben denen aus Magdeburg, Staßfurt, Aken, Egeln, Görtzke, Loburg, Luckenwalde sowie den Bauernburschen aus den Kreisen Jerichow I und II, Luckenwalde und aus dem Holzkreis 1 des Herzogtums Magdeburg die zweifelhafte Ehre, für ihre hohen Verluste in den inzwischen in die Kriegsliteratur eingegangenen Schlachten von Hohenfriedeberg (poln. Dobromierz), Lobositz (tsch. Lobosice und Kunersdorf (bei Fürstenberg) sowie an der Katzbach (bei Liegnitz - Legnica) u. v. a. die Lieblinge Friedrichs II. zu sein. Die Verluste dieses Leibregiments auf den Süptitzer Höhen bei Torgau waren so hoch, dass der König jegliche Bekanntgabe verbot (vgl. Regimenter...).
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Leib-Kürassier beim Angriff (nach: Preußische Militärgeschichte) |
Von 1753 bis zum Zusammenbruch Preußens 1806 war in Calbe das Kürassierregiment Nr. 3, das seit 1656 als "Leib-Kürassierregiment", also als Reiter-Regiment des Königs galt, stationiert. Ursprünglich war vorgesehen, zwei der fünf zum Regiment gehörenden Eskadronen mit je 2 Kompanien, somit insgesamt 4 Kompanien, nach Calbe zu legen. Neubauten oder Kürzungen der städtischen Nahrung sollten auf keinen Fall in Frage kommen. Der Magistrat glaubte solchen Versprechungen jedoch nicht und erhob Einspruch (- wiederum ein Beispiel für die gewandelte Rechtsauffassung - vgl. oben -) und argumentierte, Brauerei und Tuchfabrikation würden beeinträchtigt (vgl. Reccius, S. 76). Mit der potentiellen Behinderung der Tuchmacherei trafen sie bei Friedrich II. einen Nerv. Man führte schließlich einen Kompromiss herbei, indem nach Calbe "nur" eine Eskadron mit 2 Kompanien gelegt wurde. (Reccius unterlag einem Irrtum, wenn er glaubte, am Anfang hätten 2 Eskadronen in Calbe gelegen, die 1805 auf eine reduziert worden seien. Er verwechselte wohl Kompanien mit Eskadronen - vgl. Reccius, S. 84.)
Kürassiere nannte man die schwere Reiterei, die noch im 16. und 17. Jahrhundert voll gepanzert war. Davon blieb im 18. Jahrhundert wegen der besseren Beweglichkeit nur der Brustpanzer (Kürass) übrig, und davon in den nächsten Jahren auch nur noch der vordere Teil. In der Heimatstube Calbe ist ein solcher Kürass zu sehen (s. Abb. links unten), der wahrscheinlich aus einer späteren Zeit stammt, als auch die Kürassiere den Kürass nur noch bei Feierlichkeiten und Paraden trugen. Unter brandenburgisch-preußischer Ägide waren die schweren Reiter mit Palasch und Karabiner bewaffnet (s. Abb. rechts). Der Palasch war ein vergrößerter Degen, also eine zweischneidige, gerade Hieb- und Stichwaffe, auch Kürassierdegen genannt. Während die Kürassiere in einer Schlacht meist ins erste Treffen geschickt wurden, waren die Dragoner (leichte Reiterei, benannt nach ihrem verkürzten Karabiner mit Drachenkopf)) für die zweite Welle vorgesehen und die Husaren für das dritte Treffen. Diese Husaren waren eine echte Elitetruppe mit weniger Bindung an das Reglement als andere Soldaten, vorgesehen für Flankenschutz, Störungsmanöver und Erkundungen sowie als Reserve. Zur Zeit Friedrichs des Großen bestand eine Eskadron Kürassiere (ebenso wie Dragoner) aus ca. 150 - 200 Mann (Kompanie 75 - 100). Die Eskadronstärke der Husaren war etwas geringer. Da die Husarenregimenter aber aus der doppelten Anzahl (10) Eskadronen gegenüber den Kürassieren und Dragonern bestanden, waren die Regimentsstärken mit ca. 1300 Husaren entsprechend größer.
Jede Kürassier-Eskadron hatte zwei Trompeter, zwei Fahnenschmiede (Waffenschmiede) und einen Feldscher (Feldchirurg).
Die Kantonisten des Kürassier-Regiments kamen aus den Kreisen Aschersleben, Oschersleben und dem östlichen Teil des so genannten Holzkreises mit den Städten Schönebeck/E. (mit Frohse und Salze), Mansfeld, Hamersleben und Gerbstedt. Seit 1732 war das Regiment unter seinem Chef Generalmajor (später Generalleutnant) Hans Friedrich von Katte in seinem eigenen Kanton garnisoniert (vgl. Regimenter...). Leibkürassier-General Hans Friedrich von Katte war der Vater jenes unglücklichen Leutnants Hans Hermann von Katte, der Friedrich II. in jungen Jahren zur Flucht verhelfen wollte und der auf ausdrücklichen Befehl des Soldatenkönigs 1730 in Küstrin enthauptet wurde. Aus dem Geschlecht derer von Katte stammte auch der Kammerpräsident in Magdeburg, der am Bau des Elbe-Saale-Kanals 1727 beteiligt war.
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Kürass in der Heimatstube Calbe |
Der damalige Kommandierende der Eskadron in Calbe war Major von Wulffen, der aus einem alten Offiziersgeschlecht stammte, dessen Mitglieder bis ins 20. Jahrhundert Kommandostellen innehatten (vgl. Deutsches Biographisches Adelsrepertorium). Ein oder zwei Eskadronen lagen in Schönebeck, wo die anderen stationiert waren, konnte nicht genau ermittelt werden; eine muss in Aken gelegen haben (vgl. den Fall des Reiters Raab weiter unten).
Der Regimentskommandeur hatte sich in Schönebeck einquartiert.
Das Desertionsproblem schien sich vor dem Siebenjährigen Krieg auch bei den Kürassieren verschärft zu haben, denn 1756 wurde den Bürgern Calbes befohlen, alle Türen ihrer Häuser geschlossen zu halten und sofort Meldung zu erstatten, wenn ein Soldat zur Retraite (Hornsignal zur Nachtruhe) nicht im Quartier war (vgl. Reccius, S. 77).
Der dritte Schlesische, der so genannte Siebenjährige Krieg (1756 - 1763) brachte für Calbe erstmals nach dem Dreißigjährigen Krieg wieder Plünderungen, Drangsalierungen und Kontributionen.
Unter dem Oberbefehl des "Alten Dessauers" Fürst Leopold (s. oben) war das Leib-Kürassier-Regiment in diesen Krieg gezogen, wo es in der Schlacht bei Lobositz (s. oben ) wesentlich zum Sieg Friedrichs II. beitrug. Weiterhin war es in den teilweise schon oben erwähnten Schlachten und Gefechten vor Prag, bei Kolin, bei Roßbach und Kunersdorf, vor Dresden und bei Liegnitz (Legnica) mit zum Teil erheblichen Verlusten eingesetzt.
Die Bevölkerung der Garnison Calbe aber blieb, wenn den König das "Kriegsglück" verließ, den feindlichen Truppen schutzlos ausgeliefert. Aus dem Siebenjährigen Krieg gibt es einige Berichte und Notizen über das Schicksal der Calbenser und ihrer Nachbarn. Max Dietrich, der Lehrer und Heimatforscher, hat Gustav Hertel folgende Eintragung in einer alten Bibel mitgeteilt:
"Als Friedrich II. bei Pirna 1756 14 bis 17000 Mann gefangen nahm, hatten wir in Calbe fast alle Tage Durchmärsche um Weihnachten, da die Gefangenen im Lande verteilt wurden. Als der König mit seinen Ministern in Dresden Winterquartiere nahm, wurden die Kanonen und Geschütze nach Magdeburg gebracht. Bürger und Bauern mußten Korn und Stroh nach Magdeburg liefern, wo es zu Schiffe auf der Elbe nach der Armee in Sachsen nachgefahren wurde. Die Landstände mußten 12000 Mann von den schönsten Leuten aufbringen zur Armee des Königs. 1757, als der König den Sieg verlor, kamen die Franzosen ins Halberstädtische und Magdeburgische mit 100000 Mann. Bürger und Bauern mußten ihnen Korn liefern. Den 16. September kamen sie vor Calbe und sagten Lieferung an, nahmen auch den Ratsherrn Eichhorn als Geisel mit, bis das Verlangte geliefert war... Sie verlangten dann noch dreimal Lieferung, daß also die Stadt etliche Tausend Taler bezahlen mußte. Auch 1758 und 59 hatte der König viel Unfall. Die Russen und Österreicher kamen in unsere Gegend und brandschatzten gewaltig. Den 20. August 1759 kamen sie nach Calbe, wir mußten viel Geld geben und bei den Kaufleuten nahmen sie die besten Waren weg. Die Bürger mußten ihre Uhren und besten Sachen und Geld hingeben, es war ein erbärmlicher Zustand... 1760 war die Not noch größer... Die Reichsarmee und Österreicher kamen aus Sachsen auf uns los..."
Als 400 feindliche Soldaten am 18. Oktober 1760 früh versuchten, über die Saale zu kommen, gelang ihnen das nicht. Mittags rückten preußische Dragoner und Infanterie an, die durch die Stadt nach Nienburg marschierten. Die Feinde verschanzten sich daraufhin in Bernburg. Die Preußen bauten eine Schiffsbrücke und gingen am 21./22. Oktober über die Saale. Am 23. kamen feindliche Husaren, die sich aber nur kurz in Calbe aufhielten.
"Sie kamen zum Brumbyschen Tore herein und gingen zum Bernburgischen Tore hinaus. Bald kam aber wieder Fußvolk; wir dachten schon, es wäre alles gut, die vielen Regimenter Reuter los zu sein, die man kaum übersehen konnte. Da kamen um 2 Uhr das Fußvolk, wovon wir acht Regimenter in Calbe behielten. Die aßen aber alles weg, was da war. Am andern Morgen gingen sie wieder fort, alles über die Brücke an der Fähre, so viel Kanonen, daß uns angst und bange wurde. Am 24. lauter Durchmarsch der Brücke zu. Gott schützte aber die Stadt bisher und half uns von unseren Feinden." (Hertel, S. 47 ff.)
Obwohl der Augenzeuge bei seinen Zahlenangaben übertrieben zu haben scheint, zeigen seine Schilderungen sehr anschaulich, welchem Druck die Bevölkerung ausgesetzt war.
Bei der französischen Invasion 1757 hatte die Stadt Calbe knapp 2980 Taler verloren (vgl. ebenda, S. 50), eine ungeheure Summe, nach heutigem Wert ca. 1 bis 2 Mill. €.
Noch einmal wurde Calbe 1759 während dieses Krieges finanziell hart getroffen. Nach der schweren Niederlage Friedrichs II. am 17. August 1759 bei Kunersdorf (s. oben) drangen österreichische Husaren und Jäger (Scharfschützen) auch bis Calbe vor. Laut einer Aktennotiz hatten sie Nahrung, Getränke, Stoffe, Lederwaren und Gebrauchsgegenstände im Wert von 1250 Talern requiriert (bei Hertel, S. 49, ist von 1151 Talern und 19 Groschen die Rede), eine gewaltige Summe - und dazu noch eine silberne Uhr, damals ein bedeutender Wertgegenstand (vgl. Reccius, S. 77).
Die Österreicher waren vor die verschlossene Stadt gezogen und hatten deren Verschonung mit der Lieferung der oben genannten Dinge erpresst. Im Falle einer Weigerung der Bürger drohten die Belagerer mit der Erstürmung und Einäscherung der Stadt. Da sich nicht so viel Geld in der Stadtkasse befand, um die Lieferanten der requirierten Sachen zu bezahlen, schon gar nicht nach dem Desaster von 1757, nahm der Magistrat Kredite bei reicheren Bürgern auf, Namen wurden in den Akten nicht genannt. Die Österreicher hielten sich so lange, bis die Lieferungen erfolgt waren, in den Vorstadthäusern auf. Wohl wegen deren Armseligkeit, besonders in der Schlossvorstadt, rührten die Besatzer nichts an, behandelten die Bewohner ordentlich und verlangten nur einige Dienste von ihnen. Nach dem Abzug der kaiserlichen Truppen, die die Stadt ansonsten unangetastet ließen, entstand ein Streit um die Abtragung der Kredite. Die Vorstädter mit ihrem Amtsrat Ohle hatten gesehen, dass sich die räuberische Energie der Invasoren gegen die Stadt und nicht gegen sie gerichtet hatte, und weigerten sich deshalb, die Kreditschuld mit abzutragen. Die Stadtbürger mit Steuerrat Kanitz an der Spitze argumentierten jedoch, dass die Vorstädte schon die hohe Summe von 1757 nicht mitgetragen hätten und dass im Falle einer österreichischen Brandschatzung auch die Häuser der Vorstädter mit ein Raub der Flammen geworden wären. Die Vorstädte mussten 295 Taler (25% der Kreditkosten) zahlen, die Schlossvorstadt etwas über 90 und die Bernburger Vorstadt etwas über 199, die zum Amt gehörenden zwei Freihäuser in der Stadt knapp 6 Taler (vgl. Hertel, S. 49 f.).
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"Belling-Husar", ausgerüstet mit kurzem Karabiner, gebogenem Säbel und zwei Pistolen |
Den Siebenjährigen Krieg hatten 63 Kantonisten aus Calbe in "ihrem Leibregiment des Königs" (Infanterie-Regiment Nr. 5 - s. oben) mitgemacht, 12 (19%) waren nicht zurückgekehrt. Der oben als Prozesszeuge erwähnte Sattler Johann Samuel Drenkmann hatte im Regiment Anhalt-Bernburg (Infanterieregiment Nr. 3 unter Generalmajor Franz Adolf Prinz von Anhalt-Bernburg) gedient und kam als invalider Unteroffizier zurück.
Es gab auch Freiwillige aus Calbe, was jedoch für kantonisierte (enrollierte) Bauern- und Handwerksburschen nicht in Frage kam.
Calber Burschen durften sich in Freiwilligen-Regimentern, meist Elite-Truppen, nicht anwerben lassen und mussten in den für sie bestimmten Regimentern, in erster Linie dem Infanterie-"Leibregiment", dienen.
Der Nagelschmied Johann Gabriel Oehler und der Beutler (Lederhandwerker) Christoph Gottlieb Knauff waren Belling-Husaren (Husarenregiment des Oberst Wilhelm Sebastian von Belling, später Husarenregiment Nr. 8). Johann Christoph war Freier Glasenapp-Dragoner (muss wohl eher Husar heißen - Freikorps des Majors von Glasenapp, vgl. unten). Christian Webke war Freier Dragoner (wohl im Dragoner-Regiment Nr. 7) bei einem von Kleist gewesen. Auch diese durch Werbung stark angewachsene Einheit hatte hohe Verluste zu verzeichnen. Oder war Webke Grenadier (nicht Dragoner) bei dem oben erwähnten Generalmajor Friedrich Ludwig von Kleist im Grenadierbataillon beim Infanterieregiment Nr. 6, der so genannten Grenadiergarde, gewesen, deren Verluste extrem hoch waren (Roßbach und Torgau rund 50% - 335 und 346 Mann)? Grenadiere waren besonders große und kräftige Burschen mit sehr langläufigen Flinten (s. oben).
Auch zur Führung "ihres" Leib-Kürassierregiments scheinen die Calber Bürger ein recht angespanntes Verhältnis gehabt zu haben.
Anfang 1778 unternahmen die Garnisonsoffiziere eine Schlittenfahrt durch Calbe unter Benutzung von brennenden Pechfackeln, weshalb sich die Bürgerschaft beim Generaldirektorium in Berlin beschwerte. Die Stadt bestehe zum großen Teil aus Holzgebäuden, und solcher Leichtsinn verstoße gegen die Stadtordnung. Der amtierende Regimentskommandeur von Tschirschky in Schönebeck rügte in einem scharf gehaltenen Schreiben an den Calbeschen Magistrat, dass man ihn übergangen hatte und sich statt dessen gleich an höchster Stelle beschwert hatte. Er würde doch berechtigte Beschwerden durchaus berücksichtigen. Da schien jedoch die Bürgerschaft andere Erfahrungen gemacht zu haben (vgl. Reccius, S. 80). |
Ehe jedoch der Streit eskalierte, mussten sich die Kürassiere erneut auf einen Krieg vorbereiten.
Österreich hatte es, um seine Stellung im Reich zu stärken, auf Teile Bayerns abgesehen. Das rief Preußen, diplomatisch von Russland unterstützt, auf den Plan. Als Verhandlungen scheiterten, rüsteten beide Seiten zum Krieg, zum so genannten Bayrischen Erbfolgekrieg.
Die Calber Sattlermeister lieferten 100 Packsättel, und der Magistrat transportierte zwangsweise 4 Schmiede- und 2 Stellmachergesellen unter Bewachung nach Magdeburg, wo sie im Artilleriedepot schwere Mobilmachungsarbeiten zu leisten hatten.
Vom März bis zum 3. Mai 1778 hatte Calbe starke Truppenbelegung durch das Infanterieregiment Nr. 20 von Kalckstein (vgl. ebenda), das wie die anderen Regimenter in Richtung Böhmen ausrückte.
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Fahne des Infanterieregiments (Nr. 20) von Kalckstein |
Die Garnison des Kalcksteinregiments lag in Magdeburg. Seine Rekruten kamen aus Magdeburg, z. T. aus Oebisfelde und Seehausen sowie aus den Holzkreisen I - III, und damit auch aus Calbe. 1778 hatte Generalmajor Ludwig Karl v. Kalckstein das Regiment als Kommandeur übernommen. Seine Vergangenheit war - besonders in den friderizianischen Kriegen - voller Verluste, für die Könige und Generäle aber voller Ruhm. 1744 war es maßgeblich an der Eroberung Prags und 1745 in der für Friedrich II. siegreichen und bedeutsamen Schlacht von Hohenfriedberg (Dobromierz im polnischen Schlesien) am Hauptangriff beteiligt. Am 15. Dezember 1745 erstürmte es die vereisten Höhen bei Kesselsdorf, wo das "Dessauer" Regiment (Nr. 3) ein Desaster erlebte (vgl. oben). Beim Koliner Angriff (s. oben) auf die Kroaten bei Chozenitz (Chocenice, 24 km südöstlich von Plzen) und bei deren Verfolgung verlor das Regiment am 18. Juni 1757 800 Mann. Schon 4 Monate später büßte es am 14. Oktober in der Katastrophe von Hochkirch (9 km südöstlich von Bautzen) 500 Mann ein. Am 3. November verlor das Regiment bei Torgau beim Angriff auf die Süptitzer Höhen 600 Mann (vgl. Regimenter ...) . Es ist erstaunlich, wie innerhalb von nur drei Wochen die gelichteten Reihen des Regiments durch Überkomplette und Neuanwerbungen wieder aufgefüllt werden konnten.
Anschließend kam das Infanterieregiment Nr.10 unter Oberst Eggert Christian von Petersdorff auf seinem Marsch nach Böhmen für einige Zeit nach Calbe (vgl. Reccius, S. 80). Wegen seines früheren Regimentskommandeurs Generalmajor Georg Prinz von Hessen-Kassel hieß es das Hessen-Kasselsche und wegen der Farbe der Westen und Hosen der Soldaten wurde es "das gelbe Regiment" genannt. Garnisoniert war es in Bielefeld und Herford. Das Infanterieregiment Nr. 10 hatte schon einmal unter dem eingangs erwähnten Oberst Prinz Dietrich von Anhalt-Dessau, dem späteren Generalfeldmarschall und Fürsten, in den 1730er oder 1740er Jahren hier gelegen.
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Fahne des Infanterieregiments Nr. 10 |
Im Zweiten
Schlesischen nahm es am 15. Dezember 1745 an der desaströsen Schlacht bei
Kesselsdorf (vgl. oben) teil und verlor in Artilleriefeuer und Nahkampf 14
Offiziere und 477 Mann, die Grenadiere hatten 72 Tote und 206 Verwundete. Im
Siebenjährigen Krieg gehörte das Regiment zur "Armee des Königs", d. h., dass es
unter dem direkten Kommando Friedrichs II. in Sachsen einmarschierte. Am 5.
Dezember 1757 kämpfte es bei Leuthen (Lutynia, Ortsteil von Miekinia im
polnischen Schlesien) mit. Mit der königlichen Garde stürmte es unter schweren
Verlusten immer wieder gegen den Kirchhof als Hauptstützpunkt des Gegners an und
büßte zwölf Offiziere und 741 Mann ein !!! Dennoch nahm es an der Belagerung
Breslaus (Wroclaws) teil, das am 19. Dezember fiel. Am 17. Juni 1758 gingen der
Rest eines Bataillons des Regiments bei Landeshut (Kamenna Gora im polnischen
Schlesien) mit nur noch 328 Mann !!! in Gefangenschaft (vgl. Regimenter ...).
Nach diesem Regiment
traf das
Infanterieregiment Nr.44 unter Oberst Hans Christian von Britzke in
Calbe ein (vgl. Reccius, S. 80). Der
Oberst stammte aus einem alten märkischen Offiziersgeschlecht, das auch Fontane
in seinen "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" würdigte. Die Garnison
war Wesel, die Grenadiere lagen in Magdeburg.
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Fahne des Infanterieregiments Nr. 44 |
Nach Einnahme Torgaus
am 5. Dezember 1745 kämpfte das Regiment Nr. 44 bei Kesselsdorf. Ihr Angriff auf
die vereisten Höhen brach im Feuer zusammen; ein Regiments-Bataillon verlor 197 Tote und
179 Verwundete und hatte nach der Schlacht nur noch ca. 100 Mann.
Beim Rückzug vor den österreichisch-französischen Truppen kam das
Infanterieregiment Nr.44 zum Alliierten Korps unter dem Herzog von Cumberland bei Bielefeld.
Im nächtlichen Nachhutgefecht verlor es 200 Mann, beim Rückzug von Minden nach
Magdeburg 220 Deserteure. Ersatz aus Halberstadt und Magdeburg brachte es wieder
auf 1.320 Mann (vgl.
Regimenter ...). Obwohl es zeitweise auch zur
"Armee des Königs" gehörte und einige Abwehr- und Angriffsgefechte erfolgreich
schlug, war es ein für königlich-preußische Begriffe nicht sehr ruhmreiches Regiment.
Mit dem Britzkeschen Regiment war auch das Grenadierbataillon des Infanterieregiments Nr. 11, das nach dem früheren Kommandeur Feldmarschall Friedrich Wilhelm Prinz von Holstein-Beck "von Holstein" genannt wurde, nach Calbe gekommen. Die Garnisonen des Regiments lagen in Ostpreußen, auch die Rekruten kamen von dort (vgl. Regimenter ...).
Übrigens wurde Friedrich II. ja bekanntlich vor einer Niederlage im Siebenjährigen Krieg bewahrt, weil der junge Großfürst von Holstein-Gottorp, Karl Peter Ulrich, 1761 als Peter III. nach dem Tode der Zarin Elisabeth den russischen Zarenthron besteigen musste, da er über seine russische Mutter der einzige noch lebende Nachkomme Peters I. war. Der junge Zar aber war ein starker Preußen-Verehrer und ließ Russland sofort aus der Anti-Preußen-Koalition aussteigen. |
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Fahne des Infanterieregiments Nr. 11 |
Im April 1758 schlug das Holstein-Regiment den Landungsversuch der Schweden bei Peenemünde zurück. Am 25. August des gleichen Jahres wurde es in Zorndorf (Sarbinowo bei Kostrzyn=Küstrin) an der Oder nach zweistündigem Artilleriefeuer durch massierte russische Kavallerie-Angriffe vorübergehend in Panik gerissen, siegte aber doch. Dabei büßte es 19 Offiziere und 707 Mann ein. Mit dem Sieg bei Zorndorf brachte Friedrich II. den Vormarsch der Russen auf Brandenburg zum Stehen. 1759 kämpften die Grenadiere am 23. Juli bei Kay (s. oben) glimpflich und am 12. August bei Kunersdorf mit Ausfall von 263 Mann verlustreich. Am 20. November musste das Regiment bei Maxen (s. oben) mit dem Korps Finck in Gefangenschaft gehen. 1760 mit nur einem Bataillon mühsam wiederhergestellt, hatte es vom 31. Juli bis 4. August Breslau verteidigt (vgl. ebenda).
Am 1. Juli 1778 zogen die Britzker und die Holsteiner endlich in Richtung Böhmen ab, dem für die Soldaten angenehmsten und vergnüglichsten preußischen Krieg entgegen; denn es gab im Bayrischen Erbfolgekrieg nicht eine einzige Schlacht und kaum Blutvergießen, dafür um so mehr in Böhmen geklaute Kartoffeln und Obstbaumfrüchte. So wurde der Krieg auch von den Preußen spöttisch "Kartoffelkrieg" und von den Österreichern wegen ihres reichlichen Pflaumengenusses mit anschließenden Darmproblemen "Zwetschgengrummel" genannt. Der Böhmen-Marsch nahm schon im Oktober ein friedliches Ende. Die verfeindeten Seiten waren durch die drei Schlesischen Kriege zu sehr erschöpft und wirtschaftlich geschädigt. Deshalb kam es mit Hilfe von Diplomatie, Kompromissen und der Vermittlung der Zarin Katharina II. im Mai 1779 zum Frieden von Teschen (bis 1938 Cesky Tesin, heute polnisch Cieszyn) zwischen Österreich und Preußen.
Die Tuchmacher in Calbe, welche mit einem länger dauernden Krieg gerechnet und entsprechend mehr Rohstoffe beschafft hatten, wurden in große finanzielle Schwierigkeiten gebracht.
1780 arbeiteten in Calbe (3000 Einwohner ohne Vorstädte) 134 Tuchmachermeister mit 53 Gesellen, in Magdeburg (25 000 Einwohner) waren es 129 Tuch- und Zeugmacher mit 6 Gesellen (vgl. Reccius, a. a. O.). Die Tuchmacher, die Brauer und die Gastwirte profitierten am meisten vom preußischen Militär.
Alles in allem gesehen, war die friderizianische Militärmaschine ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor für das städtische Bürgertum des Manufakturzeitalters.
Während die einen Gewerke von den Soldatenscharen in der Stadt und von den Aufträgen der königlichen Kriegskammer profitierten, ging es einem anderen Teil der Bürgerschaft unter der preußischen Militärherrschaft nicht so gut. Besonders alte und gebrechliche Bürger litten unter den Einquartierungen. Als 1787 der schwerkranke 77jährige Kaufmann Johann Andreas Syring, dessen Frau völlig erblindet war, darum bat, ihn gegen eine Geldsumme von der Einquartierung zu entbinden, lehnte der Magistrat wegen des Gleichheitsprinzips ab. Im nächsten Jahr war das Ehepaar tot (vgl. Reccius, S. 82).
Es gab aber außer den sehr belastenden Einquartierungen auch andere Schattenseiten des preußischen Militarismus für die Bürger. So wurde in den Ratsakten Beschwerde darüber geführt, dass handwerklich ausgebildete Soldaten, die in Calbe garnisoniert waren, illegal zu Dumpingpreisen kleine Handwerksarbeiten ausführten und damit den Innungen die Arbeit wegnahmen. Verbreitet war das Anfertigen von Schuhen und Stiefeln für die Bürger bei Soldaten, die ihr Handwerkszeug im Quartier hatten und die Schuhmacher-Innung erheblich schädigten (vgl. Reccius, S. 75). Seit den 1740er Jahren nahmen die Aktionen von Diebesbanden drastisch zu. Deserteure, Kriminelle und einige Soldaten arbeiteten zusammen, indem zuerst in weiter entlegenen Städten wertvolle Gegenstände gestohlen wurden, die dann hier von Soldaten unter der Vorgabe, sie stammten aus Feindesbeute, verhökert wurden. Selbst zwei angesehene Kaufleute hatten hier geklautes silbernes Besteck und eine silberne Schnupftabakdose von Soldaten gekauft, die ihnen erzählt hatten, dass sie die schönen Sachen den Kursachsen abgenommen hätten. Obwohl sie ihre Unschuld beteuerten, mussten die Kaufherren das Diebesgut zurückgeben und obendrein je 5 Taler (heute eine vierstellige Summe) Strafe zahlen (vgl. ebenda). Nach dem Bayrischen Erbfolgekrieg kam es in Calbe wieder zu einer Zunahme der Diebstähle, zu deren Verhütung zuerst die Reiter vom Leibregiment herangezogen wurden. Als das aus verständlichen Gründen nichts half, stellte man zwei Wächter an, die alle zwei Stunden patrouillieren mussten. Als das auch wiederum nichts half, wurde eine Bürgerwache von drei Mann eingeführt, die die angestellten Wächter, die sich öfters betranken, zu kontrollieren hatte. Außerdem sollten 2 Bürger gegen Mitternacht das Rathaus und die Akzise (Steueramt) revidieren (vgl. Hertel, S. 50).
Soldaten, die sich ehrenvoll verhalten hatten, erhielten nach der Dienstzeit von meist 20 Jahren, wenn sie wollten, nicht nur das städtische Bürgerrecht, sondern konnten sich auch um einträgliche Gewerke als Tuchmacher oder Gastwirte bewerben. 1783 erwarb Andreas Weber, ein ehemaliger Reiter bei den in Calbe stationierten Leibkürassieren, das Bürgerrecht und übernahm den "Gasthof zum Weißen Ross", den späteren "Gasthof zur Sonne" am Markt. Wirt im "Schwarzen Adler" vor dem Brumbyer Tor war 1782 Zacharias Kegel geworden, der 1768 das Calbesche Bürgerrecht erworben hatte. Er war ein ehemaliger Student, der als Leutnant bei den Glasenapp-Dragonern (muss wohl heißen: Husaren) gedient hatte (vgl. Reccius, S. 81).
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Glasenappscher Frei-Husar (nach: Preußische Freikorps) |
Es handelte sich dabei um das Husaren-Freikorps des Majors von Glasenapp (s. Bild rechts), das 1763, also nach dem Siebenjährigen Krieg, aufgelöst wurde (vgl. Preußische Freikorps). Der junge Kegel muss aus einem begüterten Hause gestammt haben, denn in Freikorps konnten sich nur Burschen melden, die nicht enrolliert waren. Auch der Umstand, dass er Student gewesen war, weist auf ein wohlhabendes Elternhaus hin.
Für ausgeschiedene kranke und invalide Soldaten wurde ebenfalls in bescheidenem Maße gesorgt. Einige invalide Veteranen wurden als Dorfschullehrer verwendet. Am liebsten hatte es der König, wenn die Soldaten, die nicht mehr für das Schlachtfeld taugten, für sich selber sorgen konnten. 1792 erbat der kranke Grenadier Johann George Boßmann von seinem in Wesel stehenden Infanterieregiment Nr. 44 (vgl. oben) den Abschied. Er habe 35 Jahre lang !!! gedient und könne nicht mehr alle Jahre den Weg von Calbe nach der Garnison, zumal unter schweren Kosten, machen. Er besitze ein Haus in Calbe und könne sich als Zimmermann ernähren, so dass er keinerlei Versorgungsansprüche stelle. Der Magistrat bestätigte Boßmanns Angaben (vgl. Reccius, S. 82).
Mit Zustimmung der Regierung durfte der aus Südwestdeutschland stammende, ehemalige Reiter Friedrich Wilhelm Raab, katholischer Konfession, Bürger in Calbe werden.
Sein Schicksal in friderizianischer Zeit ist typisch für das vieler junger Männer jener Epoche und soll hier kurz nach den Ratsakten skizziert werden:
In seiner Heimatstadt Bruchsal hatte Raab das Fleischerhandwerk erlernt. 1760 ging er in die Fremde, wurde französischer Husar, desertierte aber bald zu den Preußen. Dort trat er in das Bauersche Freikorps ein (wahrscheinlich Oberst Friedrich Wilhelm von Bauer) und wurde nach dem Kriege bei Auflösung des Freikorps Reiter bei den Leibkürassieren in Calbe. Als solcher erhielt er Urlaub in Erbschaftsangelegenheiten nach seiner Heimat. Als er von der langen Reise (ca. 600 km) nicht rechtzeitig zurückkehrte, musste er 10mal !!! Spießruten laufen und wurde danach an das Bataillon in Aken verkauft !!! Später machte ihn Rittmeister von Esebeck frei und nahm ihn als Jäger (=leicht beweglicher Scharfschütze) an. Als solcher wurde er beim Wildschießen für seinen neuen Gönner im Barbyschen Gehege, also auf kursächsischem Gebiet, ertappt, festgenommen und zu einem Jahr Zuchthaus !!! verurteilt, welches er in Torgau absitzen musste. Danach war Raab als Werber tätig und verkaufte Calbesche Rekruten an fremde Regimenter, zu deren Kantonen Calbe gar nicht gehörte. Deshalb wurde er wieder verhaftet, bald jedoch mit einer Verwarnung entlassen. Als dieser Mann in Calbe darum bat, erhielt er 1784 trotz seiner katholischen Konfession und seiner dubiosen, unbürgerlichen Vergangenheit das Bürgerrecht (vgl. Reccius, S. 81). |
Die auf den Bayrischen Erbfolgekrieg folgende 13jährige Friedensperiode in Preußen brachte nicht etwa eine Einquartierungs-Entlastung für die Bürger, wie man denken müsste. Jetzt waren Paraden und Manöver angesagt.
1781 bezog z. B. das oben erwähnte Infanterieregiment Nr. 3, das "Dessauer", später "Anhalter" genannte Regiment, das einstmals unter dem Kommando des "Alten Dessauers" gestanden hatte, in Calbe Quartier. Es war auf Station vor der großen Truppenparade mit Manöver ("Revue") in Körbelitz (ca. 10 km nordöstlich von Magdeburg). Der Kommandant, Generalmajor Franz Adolf Prinz von Anhalt-Bernburg, nahm seinen Sitz im Doppel-Haus des Tuchfabrikanten Joachim Gerhard Ritter, Breite 42/43 (vgl. unten), die Stabsoffiziere wurden zu reichen Tuchfabrikanten, z. B. zum 83jährigen Jean Tournier, zu wohlhabenden Kaufleuten, Ratsherren sowie zum Rittergutspächter, zum Regierungskommissar und zum Stadtsyndikus ins Quartier gelegt. Bei einer Einwohnerzahl von 3161 lagen in Calbe in diesen Wochen insgesamt 82 Offiziere, 185 Unteroffiziere und 2620 Mann (=2887 "Manövergäste") außer den "eigenen" Leibkürassieren. Das heißt, auf jeden Bürger, vom Säugling bis zum Greis kam ein Militärangehöriger, oder anders ausgedrückt: In jeder Familie mussten 4 - 5 Soldaten beherbergt werden. Frei von Einquartierungen blieben nur der Bürgermeister, der Kämmerer (wegen der Stadtkasse), die Post (wegen der Briefe) und der "Braune Hirsch" als Ratsgasthof (vgl. Reccius, S. 80 f.).
Nach dieser
längeren, eigentlich seit 1761 dauernden Friedensperiode (- wenn man einmal
den "Kartoffelkrieg" von 1778 nicht mitrechnet -) zogen die Calber
Leibkürassiere erst 1792 vor Weihnachten wieder in den Krieg, diesmal gegen das
revolutionäre Frankreich.
Preußen hatte mit dem ehemals
verfeindeten Österreich gegen die inzwischen konstitutionelle Großmacht im
Westen eine Koalition gebildet. Jene war seit 1789 einen antimonarchistischen Weg
gegangen und bot ein Beispiel für die Völker, das es schleunigst zu
beseitigen galt. 1792 hatte das revolutionäre Frankreich Österreich den
Krieg erklärt. Nach der berühmten Kanonade bei Valmy und der Niederlage der
Österreicher bei Jemappes rückten die Revolutionstruppen bis an den Rhein
vor, Frankfurt, Mainz und die Niederlande wurden besetzt. Erst als 1783
England, Holland, Spanien, Portugal, Sardinien, Neapel und die anderen
deutschen Reichsfürsten der Koalition beitraten, konnte das linke Rheinufer
zurück gewonnen werden.
Die Rückgewinnung von Mainz und der Sieg bei Pirmasens wurde in Calbe festlich begangen. Die Bürger von Calbe spendeten 50 Taler für die Verwundeten und 115 Taler für die Soldaten aus Calbe (vgl. ebenda, S. 82), eine beachtliche Summe. Als 1400 französische Kriegsgefangene den langen Marsch von Mainz nach Magdeburg antreten mussten, kamen nur noch 1000 in Calbe an, von denen über 800 krank waren. Die 11 Skelette, die 1885 bei Bauarbeiten zu "Bartelshof" in Damaschkeplan gefunden wurden, waren mit großer Wahrscheinlichkeit Zeugnisse vom Elendszug der Revolutionssoldaten. Sie wurden nach 91 Jahren noch einmal in einem Massengrab ehrenvoll bestattet (vgl. Dietrich, Calbenser Ruhestätten, a. a. O., S. 2). Leider konnte das Grab nicht mehr eruiert werden.
Während Preußen nach der Zweiten Teilung Polens durch den Aufstand der Polen im Osten militärisch gebunden war, brach die westliche österreichisch-französische Front zusammen und die Revolutionstruppen eroberten die linksrheinischen Gebiete zurück. Preußen leitete Friedensverhandlungen mit Frankreich ein. Der Besitz von Teilen Polens war bei den zerrütteten preußischen Staatsfinanzen Friedrich Wilhelm II. , dem Neffen Friedrichs des Großen, wichtiger als die Vernichtung der Republik in Frankreich. Preußen erkannte die französische Republik an und verzichtete zähneknirschend auf die linksrheinischen Gebiete.
Als am 5. April 1795 der Sonderfrieden in Basel unterzeichnet wurde, feierten die Calber Bürger am 24. Mai ein Friedensfest, und am 30. Mai kehrten die Leibkürassiere in die Calber Garnison zurück. 1796 mussten sie wieder ausrücken, um gemeinsam mit anderen preußischen Regimentern die im Baseler Frieden ausgehandelte Demarkationslinie in Westfalen zu besetzen (vgl. Reccius, S. 83). Nach der auch in Calbe festlichen Begrüßung des neuen Jahrhunderts und nach der durch den Frieden von Luneville 1801 erfolgten Anerkennung des Status quo auch durch Kaiser und Reich kehrten die Leibkürassiere nach Calbe zurück. Ihre Zeit ging zu Ende.
Inzwischen hatte sich nach dem Ende der revolutionären Ereignisse in Frankreich einiges geändert. Der erfolgreiche ehemalige Revolutionsgeneral Napoleon Bonaparte hatte sich selbst 1799 zum Ersten Konsul, 1802 zum Konsul auf Lebenszeit und 1804 zum Kaiser "befördert". Im Dritten Koalitionskrieg, in dem Preußen auch noch neutral blieb, schlug Napoleon Österreich und Russland 1805 bei Austerlitz (Slavkov in Tschechien) entscheidend. Das Heilige Römische Reich fand 1806 mit der Niederlegung der Kaiserkrone in Wien sein Ende. Als Preußen doch noch gemeinsam mit Sachsen und Russland im Vierten Koalitionskrieg (1806/07) gegen Napoleon antrat, war sein Ende vorprogrammiert.
Nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 rückten napoleonische Truppen rasch auf die Festung Magdeburg vor. Nun kam die Bedrückung und das Elend durch feindliche Besatzung nach 46 Jahren wieder über Calbe. Am 16. Oktober wurde die Calber Kämmereikasse und die wichtigsten Akten nach Magdeburg gebracht. Das hätte man lieber lassen sollen, denn das Geld wurde nicht wieder gesehen. Das Magdeburger Umland, also auch Calbe, musste für die bald eingetroffenen Franzosen gewaltige Lieferungen in Naturalien und Geld aufbringen. Justizamtmann Bessel war der Verbindungsmann zwischen der Stadt Calbe und den französischen Generalen und sollte die Requisitionen (Wegnahmen, Eintreibungen) möglichst gerecht leiten, sofern das überhaupt bei der gebotenen Eile überhaupt möglich war. Tausende Kilo Weizen, Roggen, Hafer und Stroh wurden für die Belagerung Magdeburgs requiriert (- genaue Angaben existieren nur für die Dörfer, die Calber Daten sind verloren gegangen.) Dazu kamen Schlachttiere und Kühe sowie mehrere tausend Taler an Geld. Bessel versuchte, die Lasten nach der Größe des Ackerlandes gerecht zu verteilen. Die Festung Magdeburg fiel schon am 8. November. Für die Bürger trat eine kleine Erleichterung ein, große Lasten blieben aber weiterhin zu tragen. Am 19. Dezember musste die Stadt noch 2400 Taler Kriegssteuer zahlen, am 25. Juni 1807 wurde von den Calbensern wiederum eine Kriegsakzise von 950 Talern gefordert, zu zahlen bis zum 12. August. Besonders lästig waren für die Bürger die geforderten Vorspann-Dienste (vgl. Hertel, S.51 f.)
Am 7. Juli 1807 wurde der Vierte Koalitionskrieg durch den Friedensschluss von Tilsit (Sowjetsk in Russland an der litauischen Grenze) zwischen Frankreich und Russland beendet. Auf Fürsprache des Zaren Alexander I. blieb das besiegte Preußen als Staat erhalten. Zwei Tage später stimmte Preußen den von Napoleon diktierten Friedensbedingungen zu. Es verlor nicht nur seine annektierten polnischen Gebiete wieder, sondern auch einen erheblichen Teil des eigenen Territoriums, die linkselbischen Gebiete.
Und damit wurde nun auch Calbe französisch. Zu den ersten Maßnahmen der Französisierung gehörte die Einrichtung einer Gendarmerie in Calbe, zu der nur angesehene und frankophile Bürger genommen wurden. Ein Brigadier (Kaufmann Zacharias Klotz) und vier Gendarmen (Kaufleute Gerhard Messow und Friedrich Bungenstab sowie die Ökonomen Friedrich Lücke und Karl Schulenburg) wurden verpflichtet, als Reserve fungierten die Schönfärber Philipp Crage und Jacob Schotte. Die vorgeschriebene Uniform und Bewaffnung bestand für die neuen Gendarmen aus stahlgrauem Rock mit neun Knöpfen in einer Reihe und rotem Kragen, weißem Achselband auf der linken Schulter mit einfachem Geschlinge, aus Weste und Hosen (auch stahlgrau), dreieckigem Hut, Stulpenstiefeln, einem Kavalleriesäbel, zwei Pistolen, Patronentasche mit schwarzem Band und schwarzer Säbeltroddel (vgl. Hertel, S.52 f.).
1808 kam dann Calbe zum Königreich Westfalen und in diesem zum neu geschaffenen Elbdepartement mit einem Präfekten an der Spitze. Calbe bildete mit dem Umland einen Kanton, der in zwei Verwaltungszentren aufgeteilt wurde, den städtischen (municipal) und den ländlichen (rural) Bereich. Das war das Vorbild für die spätere Einteilung in preußische Provinzen, Bezirke und Kreise. Zum munizipalen Bereich gehörte Calbe mit den beiden Vorstädten, Gottesgnaden, Schwarz und Zens (gewissermaßen ein Groß-Calbe); der ländliche Teil des Kantons bestand aus Brumby, Förderstedt, Üllnitz, Glöthe, Eickendorf und Neugattersleben (vgl. ebenda, S. 53). Die Vorstädte, die seit Jahrhunderten von den Stadtbürgern doch recht dünkelhaft behandelt worden waren, gehörten nun zur Stadtverwaltung, ein Vorausschau auf die Vereinigung am 1. Oktober 1999 (vgl. oben). Der Vorsteher des Gesamt-Kantons war der Maire Schäge, der des Munizipal-Kantons Maire Treuding. Der Präfekt des Elbdepartements, Graf von der Schulenburg-Emden, ernannte an Stelle des 12köpfigen Magistrats den Munizipalrat in Calbe mit 16 Bürgern, vom Ackermann bis zum Superintendenten, die am 22. November 1808 auf den leichtlebigen König Jerome, einen Bruder Napoleons, und die Konstitution vereidigt wurden (vgl. Reccius, S. 84 f.). Statt Taler war die Währung jetzt der 1796 ins Leben gerufene französische Franc. Wegen der permanent schlechten Finanzlage des neuen Königreichs, nicht zuletzt hervorgerufen durch die Verschwendungssucht Jeromes, der im Volksmund "Bruder Lustig" hieß, war trotz der friedlichen Zeiten eine wirtschaftliche Erholung nicht möglich.
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Jerome Bonaparte (1784 - 1860) |
1808 mussten die Bürger des Königreiches eine Zwangsanleihe von 24 Millionen Franc und 1811 erneut eine von 10 Millionen aufbringen. Wer nicht zahlen konnte, dessen Hab und Gut wurde zwangsversteigert, um die geforderte Summe aufzubringen. So geschah es am 12. September 1812 vor dem Russlandfeldzug, als einige Bürger ihren Anteil an der erneuten Zwangsanleihe von 5 Millionen Franc nicht leisten konnten (vgl. Hertel, S. 53).
Aber die Armee Napoleons kam nicht nur als Annexionsinstrument, als das man sie verständlicherweise vordergründig sah, sondern auch als verlängerter Arm der bürgerlichen Revolution in Frankreich. In dieser demokratischen Funktion brachte die napoleonische Herrschaft durchaus positive Neuerungen für die erstarrte preußische Gesellschaft.
Außer der oben erwähnten bürgerlichen Konstitution (konstitutionelle Monarchie) und der neuen Verwaltungsstruktur wurde 1808 die bürgerliche Gleichstellung der Menschen jüdischen Glaubens eingeführt. Im gleichen Jahr setzten die Franzosen die später bei den Preußen so beliebt gewordenen Bekanntmachungen mittels Plakaten an öffentlichen Gebäuden durch. 1809 wurden die Innungen und Zünfte aufgehoben und ihr Vermögen eingezogen. Bei den Calbeschen Innungen gab es nicht viel einzuziehen, die Innungskassen waren fast leer (vgl. ebenda, S. 53 f.). Die Liquidierung der Innungen war für die wirtschaftliche Entwicklung in Preußen von Wichtigkeit, weil die starren mittelalterlichen Vorschriften schon lange zum Hemmschuh für den Kapitalismus der freien Konkurrenz geworden waren.
Diese positiven Einflüsse konnten und wollten die Calber Bürger nicht sehen, denn die Lasten durch die französische Herrschaft brachten sie an den Rand des Ruins. Auch schwere Belästigungen kamen vor: 6 französische Soldaten, die 1809 beim Tuchmacher David Große in der Breite Nr. 9 einquartiert waren, drangsalierten ihren Quartierwirt, obwohl er ihre Wünsche nach Verpflegung und Branntwein nach seinen Möglichkeiten erfüllt hatte, verprügelten ihn und schlugen ihm Türen und Fenster ein. Der Misshandelte hatte Glück, er bekam vom französischen Kommandanten 10 Taler als Entschädigung. Eine Bestrafung der Schuldigen erfolgte nicht (vgl. Reccius, S..
Die Wehrpflichtigen flohen in Scharen vor ihrem Dienst in der westfälisch-französischen Armee. Von 43 jungen Calbensern des Jahrganges 1789, die 1809 eingezogen werden sollten, waren 21 unauffindbar und 2 befanden sich in Preußen (gemeint ist das durch den Frieden von Tilsit 1807 oktroyierte ostelbische Restpreußen - s. oben).
Der Insurrektionszug des preußischen Husaren-Majors Ferdinand von Schill durch das besetzte Gebiet stieß bei den geflohenen Soldaten jedoch kaum auf Resonanz. Am 3. Mai 1809 war die kleine Schillsche Schar (in Stärke von weniger als einer Eskadron) in Bernburg, am 4. Mai in Neugattersleben, und am 5. Mai lieferte sie sich das in die Kriegsliteratur eingegangene Gefecht bei Dodendorf, bevor sie knappe vier Wochen später ein blutiges und tragisches Ende in Stralsund fand (vgl. ebenda ).
Natürlich mussten Calbenser als Angehörige des Königreichs Westfalen auch in der 610 000 Mann starken "Grande Armée" 1812 mit gegen Russland ziehen. Die Hälfte dieses Riesenheeres waren Deutsche und Angehörige von Hilfstruppen aus anderen Ländern. Der Großteil der Soldaten starb auf dem Rückzug von Moskau durch Kälte, Hunger oder Angriffe feindlicher Kosaken und Partisanen. (Hier entstand erstmalig der Begriff "Partisan" als Träger der Partisane (Hellebarde) für einen heute so genannten "Guerillakämpfer".) Wie viele Calbenser bei diesem katastrophalen Rückzug umkamen und in fremder Erde blieben, ist nicht bekannt.
Nach dem Verlust der Odergrenze wollte Napoleon unbedingt die Elblinie halten. Die letzte Etappe der französischen Besatzung in unserer Gegend, von den Calbensern "Westfalenzeit" genannt, begann.
Die Schicksalsjahre 1813/14 in Calbe
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Nach den Bestimmungen
des Wiener Kongresses (18. September 1814 - 19. Juni 1815) bekam Preußen das
alte westelbische Gebiet und damit auch das Calbesche Gebiet zurück. Eine
Entschädigung der bis an den Rand der Existenzfähigkeit belasteten Gebiete durch
Frankreich erfolgte jedoch nicht.
Der bürgerlich-fortschrittliche Impetus, der von den französischen Okkupanten ausgegangen war, blieb erhalten, die reformerische Umgestaltung Preußens war in Gang gekommen. Gleichzeitig begann als Gegenbewegung die Restauration der alten Fürstenmacht. Die Metternichsche "Heilige Allianz" sorgte für die Friedhofsruhe der 1820er Jahre.
Am 30. April 1815 wurde die preußische Provinz Sachsen geschaffen und Calbe als Kreisstadt etabliert.
Unsere Gegend blieb nun weitgehend von spezifischen Belastungen durch Militär verschont.
Copyright: Dieter H. Steinmetz