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„… Was Friede und Ruhe vor eine unermeßliche Wohlthat sey… "
Der Dreißigjährige Krieg (1618 – 1648) in Calbe an der Saale und Umgebung
Vorgeschichte
Der Krieg war eine Folge der nicht gelösten Probleme des Schmalkaldischen Krieges 1546/47 und des Augsburger Religionsfriedens 1555. Dabei ging es nicht so sehr um Religionsfragen, sondern in erster Linie um die Machtbefugnisse des Kaisertums und der immer mehr erstarkenden Landesfürsten. Die Parteien standen sich innerhalb des Reiches als protestantische „Union“ und als katholische „Liga“ (mit dem katholischen Kaisertum) gegenüber. Hinzu kamen im Verlauf des Krieges ausländische Mächte, die mehr oder weniger direkt am Machtpoker teilnahmen.
Der Krieg, einer der verheerendsten in der europäischen Geschichte, wird in der Regel in vier Phasen eingeteilt: in den Böhmisch-Pfälzischen Krieg (1618-1625), den Dänisch-Niedersächsischen Krieg (1625-1629), den Schwedischen Krieg (1630-1635) und den Französisch-Schwedischen Krieg (1635-1648).
Chronik des Schreckens
Nachdem der europäische Macht- und Religionskrieg zunächst einmal wie einer der damals üblichen, regional begrenzten Kriege begonnen hatte und unsere Gegend nicht berührte (1618 – 1625 Böhmisch-Pfälzischer Krieg), entwickelte sich mit dem Eintritt Dänemarks (1625) und der Einmischung europäischer Großmächte, wie z. B. Englands, ein Flächenbrand größten Ausmaßes in Europa, von dem auch Calbe seit 1625 schwer geschädigt wurde.
Mai 1625 Der Liga-Oberbefehlshaber Johann Tserclaes Graf von Tilly (1559 - 1632) lässt in Calbe werben, obwohl der protestantische Administrator, Markgraf Christian Wilhelm von Brandenburg, solche Werbungen untersagt hatte.
Herbst 1625 Im Calber Schloss findet ein großer Sonder-Landtag mit dem Dänischen Kanzler Uhlenfeld statt.
Das protestantische Dänemark (1625 - 29 Dänisch-Norddeutscher Krieg) war ein wichtiger Verbündeter des Magdeburger Administrators.
Mit dem Eintritt des Dänenkönigs Christian IV. in das europäische Machtpoker wurde der Krieg auch in unsere Gegend getragen. Vom Jahr 1625 an begann das lange Leid der Bevölkerung des Magdeburger Landes, des Gebietes, das seit diesem Zeitpunkt mit am schlimmsten in diesem Kriege betroffen wurde.
Truppen der Liga unter General Tilly rücken gegen Calbe. Der Landtag wird schleunigst geschlossen, und Soldaten des Administrators halten das Schloss besetzt. Tillys Söldner erstürmen daraufhin die Mauern und die Schlossfestung und richten unter den Markgräflichen ein grauenhaftes Gemetzel an. Anschließend wird die Stadt geplündert.
12. Oktober 1625 Der neu ernannte Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen, Albrecht Wenzel Eusebius Graf von Wallenstein (Waldstein), Herzog von Friedland (1583 - 1634 ermordet), kommt in Eilmärschen von Eger (heute: Cheb) über Halberstadt und Aschersleben nach Calbe, um sich in der Gegend mit den Liga-Truppen Tillys zu vereinigen. Der Rat öffnet ihm die Tore, nachdem er Kanonen (angeblich Attrappen) vor den Mauern auffahren lassen und der Stadt eine faire Behandlung zugesichert hat. Der kaiserliche Kriegsunternehmer bleibt nur kurze Zeit in Calbe, er übernachtet wahrscheinlich im "Goldenen Stern" (Schlossstraße 83). Seine verwundeten und kranken Soldaten lässt er in die Pesthäuser und andere Hospitäler (namentlich an der Hospitalkirche = Neuapostolische K.) legen und zieht mit seiner Armee über Salze (Schönebeck) nach Halle und Querfurt weiter.
1626 Das Magdeburger Land, außer Magdeburg selbst, befindet sich in den Händen der katholischen Partei.
Nachdem Tilly den Dänenkönig am 27. August 1626 in der Schlacht bei Lutter am Barenberge (13 km nordöstlich von Goslar) vernichtend geschlagen hat, flieht der Magdeburger Administrator zum Dänenkönig an die Küste, seine Frau nach Berlin.
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Albrecht Wenzel Eusebius Graf von Wallenstein (Waldstein), Herzog von Friedland (1583 – 1634) |
6. 7. 1630 In Pommern landet ein mächtigerer „Beschützer“ der Protestanten, König Gustav Adolf von Schweden.
Während viele protestantische Fürsten zögern, schließen sich der Magdeburger Administrator Christian Wilhelm und die Stadt Magdeburg sofort dem Schwedenkönig an, obwohl das Magdeburger Gebiet noch in der Hand von katholischen Truppen und die Macht des Kaisers sowie des Katholizismus damals auf ihrem Höhepunkt sind. Der Administrator lässt, da er mit einem baldigen Angriff der Kaiserpartei rechnet, überall im Land Soldaten werben und in den meisten Städten Verteidigungszentren einrichten, die jedoch wegen der militärischen Unfähigkeit Christian Wilhelms alle gestürmt und geplündert werden.
September 1630 Auch in die „Veste Calbe“ (Schloss) entsendet der Administrator eiligst 750 Musketiere, die aber sofort von mehreren Regimentern (einige tausend Mann) der Kaiserlichen unter General Viermond, Herrn von Neersen, verfolgt werden. Ein Desaster scheint vorprogrammiert.
14. September 1630 Viermond lässt Calbe, das Schloss und die Schanzen auf dem Heger mit halben Kartaunen (kurze, schwere 40-Pfünder-Geschütze) und Feld-Schlangen unter Dauerbeschuss nehmen. Die Verteidiger, Soldaten und Bürger, wehren sich tapfer, die Bürger auch mit Steinen. Dabei verlieren die Angreifer 300 Mann.
22. September 1630 Durch Brandlegung am Schlosstor gelingt es, eine Schwachstelle zu erzeugen, die erschöpften Verteidiger, von denen 200 fallen, zu überrumpeln und um 11 Uhr vormittags in die Stadt einzudringen. Nun beginnen die grauenvollsten 21 Stunden in der Calbeschen Neuzeitgeschichte, die Überwältiger kennen kein Pardon, es wird geraubt, vergewaltigt und gemordet. In der Stadt selbst wehren sich die bürgerlichen und militärischen Verteidiger noch bis 17 Uhr gegen die starke Übermacht. Das Plündern und Schänden aber dauert bis zum nächsten Morgen 8 Uhr, als durch ein Signal der Befehl zum Beenden des Plünderns gegeben wird. Einige der Verteidiger, die nach dem Sieg der Übermacht nach Gottesgnaden - gerüchteweise durch einen Geheimgang unter der Saale - geflüchtet sind, werden von kroatischen Reitern durch eine Furt verfolgt und fast alle getötet. Viele Bürger, auch die Geistlichen, versuchen sich in die St.-Stephani-Kirche zu retten. Die Plünderer rammen jedoch die schweren Eichentüren auf, öffnen gewaltsam das Gewölbe der Sakristei, rauben alle Kostbarkeiten und stöbern auch die Menschen auf, die sich auf den Türmen und in der Wrangelkapelle versteckt halten. "Ein großes Leid hub an."
Eine Vorliebe zeigen die Plünderer für Kleidung, besonders für Mäntel. Die Bürger werden gezwungen, in Lumpen gehüllt, die zahlreichen Toten in Massengräbern zu begraben. Diese Gruben hatte man eiligst, obwohl der Kirchhof schon offiziell seit 1551 geschlossen war, auf der Nord- und Westseite der St.-Stephani-Kirche ausgehoben.
An diesem schwarzen Tag in der Calber Geschichte wird es auch gewesen sein, dass ein großer Teil der Akten und Urkunden aus dem Archiv in die Saale geworfen und vernichtet wurde.
Zur Mahnung und Anklage bleiben noch fast ein Jahrhundert lang die großen Blutflecke an der nördlichen Stadt-Mauer und das Blut eines um Gnade flehenden und in der Schlosskapelle erstochenen Bürgers vor der Kanzel sichtbar.
(Zu den Ereignissen des Jahres 1630 vgl. Hävecker, S. 90 f., Reccius, S. 49, Hertel, S. 35 f.)
Mai 1631 Während der Vorbereitungen zur Belagerung der Stadt Magdeburg hat Calbe große Einquartierungs- und Requisitionslasten durch die kaiserlichen und ligistischen Truppen unter Graf Gottfried Heinrich zu Pappenheim (1594 - 1632) und Tilly zu tragen. Calber Bürger, die in die vermeintlich sichere Stadt Magdeburg geflohen sind, ereilt dort ein grausames Schicksal, wie das des Melchior Heydenreich, der während der Belagerung sein Reitpferd verzehren muss und bei der Erstürmung und Zerstörung Magdeburgs am 10. Mai 1631 ums Leben kommt.
Tilly wird am 17. September 1631 bei Breitenfeld von Gustav Adolf vernichtend geschlagen.
Nun kommen die Schweden unter ihrem damals erfolgreichsten Feldherrn Johan Banér (1596 - 1641) vor Magdeburg, um die Stadt von der Besetzung durch Pappenheim zu befreien.
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Johan Banér (1596 - 1641) |
31. Oktober 1631 Banér erscheint in Calbe, und beim Kampf gegen die Kaiserlichen kommt es erneut zum Blutvergießen.
Bald muss Pappenheim Magdeburg wegen Versorgungsschwierigkeiten aufgeben.
Die Schweden siegen in weiten Teilen Deutschlands und stellen auch in Calbe die "Ruhe und Ordnung" der Sieger her. König Gustav Adolf setzt im Magdeburger Land eine Regierung unter Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen als Statthalter ein.
Banér bekommt 1632 für seine militärischen Verdienste von der schwedischen Krone die Ämter Egeln, Athensleben und Hadmersleben geschenkt, der Kanzler Johannes Stalmann bekommt Gottesgnaden (s. Miszelle "Anna Margareta von Haugwitz".
1632 Calbe ist Sammelplatz des Hauptmanns Adolf Wilhelm von Krosigk für eine Kompanie, die er dem schwedischen Regiment Dietrichs von dem Werder zuführen muss. Dafür hat Calbe die Unterbringung und Löhnung aufzubringen.
Am 29. Februar berechnet der Rat für die von ihm gezahlten Kriegskosten 14 237 Taler und 7 Groschen, eine unvorstellbar hohe Summe, nach heutigem Geldwert eine zweistellige Millionensumme; außer den zerstörten Gebäuden und Auslösungen, den 50 Talern, die ein schwedisch-schottischer Quartiermeister requiriert hat, außer den 6000 Pfund Brot und vielen Säcken Getreide als Armeeproviant und außer den aus dem Rathaus geraubten Kostbarkeiten, was alles zusammen auch noch einige tausend Taler ausmacht.
Am 1. März trägt der Rat dem Statthalter Fürst Ludwig vor, Calbe könne unmöglich länger Sammelplatz schwedischer Truppen sein, die Bürger flüchteten deswegen aus der Stadt. Zwar werden nun die Löhnungskosten etwas herabgesetzt, aber bald kommen auch noch die Dragoner des Obersten Ludwig Kange und ein Teil der 7000 Mann des Herzogs Georg von Lüneburg, "ein gefährlich Pack", hinzu.
Nun setzt eine große Fluktuation ein, weil viele Bürger die hohen Kontributionen nicht mehr aufbringen können.
Inzwischen sind die Bäcker nicht mehr in der Lage zu backen, weil ihnen das Mehl fehlt. Die Menschen verhungern.
Wegen des Marodeur-Unwesens müssen die geplagten Bürger zusätzliche Wachen für die Tortürme stellen.
1635 Die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg treten dem Frieden von Prag bei, wodurch die Schweden plötzlich zu Feinden werden. Banér schlägt im Juli ein Lager zwischen Staßfurt und Calbe mit 15 000 Mann auf, was die Städte, besonders aber auch die noch vorhandenen Dörfer, wiederum enorm belastet. Im Herbst werden die Schweden von den sächsischen Truppen gezwungen, die Stifte Magdeburg und Halberstadt zu räumen und sich nach Brandenburg zurückzuziehen.
Nun erhält Calbe eine kursächsische Besatzung.
1636 Unter Banér werden die Sachsen wieder vertrieben. Er rächt sich bitter an den leidgeprüften Städten. Zuerst werden von ihm Stadt und Schloss Barby gestürmt und geplündert. Dann zieht Banér in Eilmärschen nach Calbe, Könnern, Löbejün und Eisleben, wo es noch kursächsische Besatzungen gibt. Diese Städte werden gestürmt und geplündert. Sie müssen blutig dafür büßen, dass die Kursachsen dem schwedischen Feldmarschall „seine“ vom schwedischen König als Geschenk erhaltenen Städte (s. 1631) weggenommen hatten.
18. Januar 1637 Calbe wird von den Truppen Banérs bei einer fast ebenso verheerenden Plünderungsorgie wie seinerzeit am 22. September 1630 (s. dort) geschändet und ausgeraubt. Calber Kaufleute werden schon unterwegs ausgeplündert.
Nach dem Racheakt Banérs muss nun Calbe wieder unter schwedischer Besatzung leben.
Januar 1636 Der Kurfürst von Sachsen, der Banér verfolgt, versucht sechsmal vergeblich, Calbe zu stürmen.
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Matthias Graf von Gallas (1584 oder 1588 - 1647) |
14. März 1636 Banér lässt die Schanzen bei Barby schleifen, um die Palisaden zur Verstärkung der Calber Befestigung zu benutzen. Danach geht er mit mehreren Regimentern über die Saalebrücke und schlägt 12 Regimenter (!!!) der Sachsen am Petersberg bei Halle. Die Calbesche Saalebrücke hat er mit 1000 Mann sichern und mit Kanonen bestücken lassen, weil ihm dieser Übergang für seinen Rückzug nach Magdeburg, wo er ein großes Getreidevorratslager angelegt hat, sehr wichtig ist. Bevor die Schweden sich (fast für immer) aus unserer Gegend „verabschieden“, lässt Banér durch seinen Oberst Golz die Brücke und das Kloster, nach Plünderung des letzten noch vorhandenen Brauchbaren, niederbrennen.
Im Juli 1636 verlässt Banér die Stadt Magdeburg, um in Wittstock an der Dosse die Kaiserlichen und die Kursachsen in einer bedeutsamen Schlacht zu schlagen. Damit begründet er eine längere Herrschaft der Schweden in Norddeutschland.
Ende 1636 In unsere Gegend rücken die Kursachsen und ihre Verbündeten, die Kaiserlichen. Letztere werden befehligt von Matthias Graf von Gallas (1584 oder 1588 - 1647), einem unberechenbaren, von der Trunksucht gezeichneten Trientiner, dem man den tödlichen Verrat an Wallenstein nachsagte. Mit diesen neuen Herren beginnt hier wieder eine schlimme Zeit. Besonders haben es die Kaiserlichen auf anhalt-zerbstische Dörfer und Städte abgesehen, wo sie die schlimmsten Grausamkeiten verüben.
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Giovan Lodovico Freiherr von Isolani (1580 oder 86 - 1640) |
Das Vorwerk Rajoch wird z. B. total verwüstet. Calbe bleibt aber weitestgehend von den Besuchen der Gallas-Horden verschont, weil - welch Ironie der Geschichte - die Brücke fehlt. Kaum ist Gallas verschwunden, rücken die Kaiserlichen erneut 1637, diesmal unter Giovan Lodovico Freiherr von Isolani (1580 oder 86 - 1640), erneut vor Calbe, wo sie ebenfalls übel hausen.
(Isolani war General einer Hilfstruppe, der kroatischen leichten Kavallerie. Das war eine Horde privilegierter Mörder, Räuber und Brandstifter, die die Aufgabe hatten, den Gegner, wo es nur ging zu stören, Beute zu machen und die Bevölkerung zu terrorisieren.)
Vor Calbe dreschen die Isolani-Kroaten das Getreide gleich auf dem Feld aus.
Eine Abteilung dieser gefährlichen Reiter hat es geschafft, auf Umwegen, wahrscheinlich über eine Brücke in Bernburg, in Calbe einzudringen. Plötzlich sprengen sie auf den Marktplatz, wo sich die Bürger, auch der Bürgermeister, eiligst hinter einer steinernen Barrikade, der so genannten Brustwehr, verschanzen. Die wilden Attacken der Reiter können durch gezielte Schüsse der geübten Bürger-Schützen abgewehrt werden, und die kroatischen Reiter machen sich aus dem Staub.
1640 Bayrische Truppen plündern Calbe und zerstören die Salpeterhütte in der Schlossvorstadt.
1641 Das Heer der Schweden erscheint kurz vor Banérs Tod noch einmal an der Stelle, an der die Brücke 5 Jahre zuvor zerstört worden war. Banér lässt unter großem Aufwand und erzwungener Mithilfe der Bevölkerung eine Ponton-Brücke aus Fässern bauen, um nach Magdeburg überzusetzen. Kaum war die Armee auf dem linken Ufer, ließ er das Meisterwerk zerstören, weil die Kaiserlichen folgten.
(Bei dieser Gelegenheit könnten Banérs Stellvertreter, Oberst Wrangel, und seine frisch vermählte schöne Ehefrau, die gebürtige Calbenserin Anna Margareta die Südkapelle an der St.-Stephani-Kirche besucht und eine Schenkung vorgenommen haben, durch welche die Kapelle bis heute als Wrangel-Kapelle in Erinnerung blieb.)
1643 Wie auch vorher schon ziehen marodierende Söldner durch die Calbesche Feldmark, die es besonders auf Pferde abgesehen haben. Bauern und Bürger, die sich weigern, ihre existentiell wichtigen Tiere herzugeben, werden von den Marodeuren einfach niedergeschossen. So widerfährt es auch dem Amts-Kornschreiber Christian Freudemann, der das Pech hat, am 23. August 1643 mit 5 oder 6 Pferden des Amtes und der Bürgerschaft unterwegs zu sein, als ihn Reiter überfallen, die Pferde rauben und ihn dann erschießen.
1644 Die Kaiserlichen unter Graf Gallas und die Schweden unter dem neuen Befehlshaber Lennart Torstenson (1603 – 1651) liegen sich drei Monate lang vor Bernburg gegenüber, was stark auf Kosten der Dörfer bzw. der Calbeschen Südvorstadt geht. In diesem „Stellungskrieg“ werden die Häuser der Bauern samt Einrichtungen einfach abgerissen und in den Söldner-Lagern wieder aufgebaut. Einiges wird auch als Feuerholz benutzt. Die Bauern jedoch, deren Haus, Hab und Gut abtransportiert worden ist, müssen sehen, wie sie im Freien überleben. Einige Dörfer werden ganz vernichtet, wie z. B. Zuchau. Von den 72 Zuchauer Bauern vor dem Kriege ist danach keiner mehr anzutreffen. Zuchau war dem Erdboden gleich gemacht worden (vgl. Hävecker, S. 31).
Als jedoch ein schwedischer Söldner einen Balken aus der Tür der Kirche in Gramsdorf (6 km östlich von Nienburg) entwenden will, lässt ein General, vielleicht war es Karl Gustav Wrangel, ihn zur Abschreckung an demselben aufhängen (vgl. Hävecker, ebenda).
Wrangel war bei der Bande von Räubern und Mördern, die seine Soldaten waren, geradezu verhasst, weil er von ihnen Höchstleistungen durch eiserne militärische Disziplin verlangte. Jede Undiszipliniertheit wurde von ihm gnadenlos mit Hängen und Erschießen bestraft (- davon ausgeschlossen war aber das selbstverständliche Plündern nach erfolgreicher Erstürmung -).
Die kaiserlichen Vorgesetzten zeigen sich da nicht so zimperlich. Die Laurentiuskirche in der Bernburger Vorstadt jedenfalls wird von Gallas-Plünderern kräftig ruiniert.
Sogar in der Stadt Calbe selbst haben sich die Gegner 1644 drei Monate lang eingenistet. Auf dem Heger müssen die Calbenser Schanzen errichten, noch heute "Schwedenschanzen" genannt, wobei die Bürger Fuhren leisten, die Hörigen und Leibeigenen aber, die keine Pferde besitzen, selbst zu Hacke und Schaufel greifen müssen.
1645 Als sich die Kriegswalze allmählich in Richtung Süden nach Hessen und Bayern schiebt, können die Calbenser wieder aufatmen. Im Wesentlichen ist für sie der Krieg nach 1645 vorbei. Die Bauern der umliegenden Dörfer und die Bewohner der Vorstädte aber holen sich aus den verlassenen Söldner-Lagern ihre zum Teil unversehrten Habseligkeiten und ihr Hausbaumaterial zurück.
1648 Laut einer Stadtrechnung ist ein Flugblatt, damals „Zeitung“ genannt, über den "Friedensschluss" gekauft worden.
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Flugblatt 1648: Boten und Engel verkünden im Land den Friedensschluss |
Nach Abzug der letzten Schweden wurde in allen Kirchen des Erzstifts Magdeburg ein Friedensdankfest gefeiert und "dabei gedacht, in was vor unaußsprechlichen Unglück wir so lange gestecket und was Friede und Ruhe vor eine unermeßliche Wohlthat sey." Nach den Bestimmungen des Westfälischen Friedens blieb das Magdeburger Land bei Administrator Herzog August von Sachsen-Weißenfels (1614 - 1680) bis zu dessen Tod. Danach sollte es als Herzogtum zum Kurfürstentum Brandenburg gehören. Der Übergang zu Brandenburg-Preußen geschah 1680 unter Kurfürst Friedrich Wilhelm, dem „Großen“, dessen Generalen es auch gelang, die Schweden zu vertreiben. Damit begann die 265 Jahre dauernde Preußen-Ära für Calbe.
Bilanz:
Während des gesamten Krieges hatten die Dörfer und Vorstädte am meisten zu leiden, weil sie schutzlos in der Landschaft lagen. Die Schlossvorstadt befand sich genau an der strategisch wichtigen Saalebrücke, über die sich alle Kriegsvölker herüberwälzten und dabei zuerst auf die arme Bevölkerung der Ketzerei und Gröperei trafen. Zogen die Söldner von Süden über Bernburg und Nienburg heran, trafen sie auf die Bernburger Vorstadt. Am schlimmsten aber erging es den Bauern in den Dörfern, die von der Soldateska oft schlechter als Vieh behandelt wurden. Die zum Amt Calbe gehörenden Dörfer waren so verwüstet, dass es kaum noch Zugtiere und Menschen für die Frondienste gab und dass weite Ackerflächen wüst lagen. Über das Schicksal des zum Calbeschen Amt gehörenden Dorfes Brumby schrieb Hävecker z. B.:
„Dieses Dorf ist… Anno 1631 großen Teils abgebrannt und hat in dem letzten dreißigjährigen Kriege ganz wüste gelegen und sind die Bauern und Einwohner verjagt und teils zu Tode gemachet worden." (Hävecker, S. 28).
Wirtschaft und Sozialstruktur der Stadt Calbe selbst waren ebenfalls ruiniert.
Nur 14 Hufen, das war etwa ein Zehntel des ursprünglichen Ackerlandes der Stadt Calbe, wurden am Ende des Krieges noch bestellt. Die Einwohnerzahl war auf etwa die Hälfte reduziert.
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Bewohnte Häuser der Schlossvorstadt |
Der Dreißigjährige Krieg hatte Calbe wie viele andere Städte des Reiches stark in der ökonomischen und sozialen Entwicklung zurückgeworfen. Zwar ging es unter preußischer Herrschaft rasch wieder aufwärts (vgl. Diagramme über den Häuserbestand in den Vorstädten), aber im Unterschied zu einigen anderen Städten erholte sich Calbe von diesem Schlag nie wieder richtig und blieb in der Folge auf der Stufe einer Kleinstadt stehen.
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Bewohnte Häuser in der Bernburger Vorstadt |
(Zu den Ereignissen des Dreißigj. Krieges vgl. Hävecker, S. 90 ff., Reccius, S. 49ff., Hertel, S. 35 ff.)
Copyright: Dieter H. Steinmetz